iPhone (12) ohne Netzteil: Thema taugt nicht als Aufreger

Alexander Trust, den 28. Oktober 2020
iPhone 12
iPhone 12, Bild: Apple

Apple kündigte vor einer Weile das iPhone 12 an. Dieses Smartphone, aber auch alle anderen, die das Unternehmen anbietet, werden in Zukunft ohne Kopfhörer und ohne Netzteile ausgeliefert. Für die Magazine ist dies Grund genug, ein Thema herbeizuschreiben: „Deshalb fühlen sich viele Nutzer abgezockt“ oder „Was zu viel ist, ist zu viel!“ Es ist natürlich eine berechtigte Frage, wie Nutzer darauf reagieren, doch die Antwort darauf kann man recherchieren, oder einfach am Feedback der eigenen Besucher ablesen.

Als ich im November 2019 mit dem Versprechen antrat, mehr Vertrauen erzeugen zu wollen, hatte ich auch Beiträge wie diesen im Hinterkopf, die mittel- und langfristig dazu beitragen sollen.

Ja, es ist vielleicht nicht fair, dass ich ein Magazin angreife, für das ich selbst einmal geschrieben habe, sogar im November 2019 noch. Aber: Es ist genau diese, meine Art, die dazu geführt hat, dass ich dort nicht alt wurde. Denn ich mache keine Gefangenen und bin auch kritisch gegenüber Kollegen und Vorgesetzten, selbst wenn das bedeutet, dass mich nicht alle Leute mögen. Die andere Seite der Medaille bedeutet einfach, dass ich nicht massenkompatibel bin. Aber: Das sind wir alle nicht, manchen Leuten fällt das aber erst zu spät im Leben auf.

Fingiertes Thema?

Doch, genug der Vorrede. Schon der erste Kommentar unter dem Artikel auf Mac Life zeigt, dass der Autor des Beitrags die Meinung nicht recherchiert, sondern einfach zur Quotensteigerung kreiert hat; das ist natürlich eine Unterstellung.

Angesichts der Tatsache, dass auch Samsung in Zukunft auf Netzteile bei seinen Smartphones verzichten möchte, versuchte noch ein weiterer Digitalredakteur von „Inside Digital“ das Thema zum Aufreger zu stilisieren. Doch auch ihm gelingt es nicht. Denn auch hier gibt es schon im ersten Kommentar mächtig Kontra „Dieser Artikel ist doch totaler Schwachsinn“, heißt es dort.

Allaussagen und Vereinnahmungen

Ja, es gibt auf beiden Seiten auch kritische Stimmen, aber diese rechtfertigen keine Allaussagen und vereinnahmen die Leser. Davor sollte man sich als Journalist sowieso tunlichst hüten. Trotzdem wird es tagtäglich in vielen Redaktionen so gehandhabt. Es ist aber nicht richtig, wenn es heißt „ganz Deutschland trauert“, oder „ganz Deutschland in Panik“, und so fort.

Vielleicht ist es in diesen Fällen sogar die Meinung der Autoren selbst, vielleicht auch nicht. Meine Analyse fällt zwar nicht hochwissenschaftlich aus, aber zumindest ausgewogener.

Es gibt keinen Aufschrei

Was sich dennoch ganz deutlich zeigt: Es gibt keinen Aufschrei, weil Apple nun das Netzteil beim iPhone (12) nicht mehr dabei packt, wie er versucht wird, herbeizuschreiben. Es gibt kein neues „Batterygate“, kein weiteres „Bendgate“, und selbst bei diesen hätte man fragen können, ob der Aufschrei gerechtfertigt ist. Gefühlt war er aber deutlich größer als Apple den Klinkenstecker am iPhone entfernte. Nur selbst daran haben sich die Nutzer gewöhnt. „Gefühlt“ schreibe ich dazu, weil ich das nicht recherchiert habe.

Kommentare auf deutschen Webseiten eher positiv

Meine erste Anlaufstelle bei der Recherche sind Beiträge zu dem Thema auf deutschsprachigen Webseiten. Bei Golem liest sich die Liste der Kommentare anders als bei Mac Life in der Überschrift. Dort heißt es zum Beispiel:

  • „Ja und Amen“,
  • „Endlich hat hier jemand (in dem Fall Apple) die Eier …“,
  • „Eigentlich ist es konsequent so“,
  • „Macht Fairphone schon lange so“,
  • „Man hat ja so viele USB Netzteile…“

Es gibt auch kritischere Stimmen, die zum Beispiel fragen: „Ich bekomme dann also ein Gerät was nicht nutzbar ist?“ Dieser Kommentar ist jedoch eher ein Reflex auf die Veränderung und entsprechend gibt es andere, die schreiben, dass es „viele USB-C-Geräte ohne Ladegerät“ gibt. Das ist richtig und wird in Zukunft noch mehr werden.

Was aber auffällt ist, dass die Zahl der Kommentare dazu überschaubar bleibt. Es gibt andere „Aufregerthemen“, ganz aktuell scheint ein Thema um Vodafone und das Erschweren der Routerfreiheit deutlich mehr zum Aufreger geeignet.

Auch auf ZDnet oder bei Heise wird das Thema kein echter Aufreger, selbst in kritischem Kontext nicht. Übrigens gab es im Juli schon einmal Meldungen zu einer Umfrage Apples, die das Unternehmen bei Kunden durchführte. Seinerzeit schlugen Heise-Leser vor, das Netzteil nur optional mitzuliefern oder dass die EU vorschreiben sollte, dass Elektrogeräten keine Netzteile mehr beigelegt würden. Auf t3n scheint es die Leser sogar überhaupt nicht zu interessieren.

Meine Recherche in deutschsprachigen Tech-Medien ist, wie erwähnt, nicht hochwissenschaftlich, aber selbst auf den zweiten Blick kann ich keine Aufregung entdecken, höchstens einzelne Unzufriedenheit.

Diskussionen auf Reddit sehr verhalten

Reddit ist momentan so etwas wie das angesagteste Diskussionsforum im Internet. Entsprechend ist es neben anderen sozialen Netzwerken ein guter Stimmungsindikator. Aber auch die Ergebnisse dort muss man einzuschätzen wissen. Letztlich sind selbst Einträge mit vielen Antworten nur ein Fingerzeig. Moderne Medien tendieren aber dazu alles, was einen gewissen Grenzwert überschreitet, direkt auf Seite 1 zu veröffentlichen. Damit bläst man Themen auf, die womöglich gar keine Relevanz haben.

Dass ältere iPhone-Modelle mittlerweile keine Kopfhörer und Netzteile mehr bieten, scheint auf Reddit jedenfalls ebenfalls nicht so heiß gekocht zu werden. Selbst in den dafür vorgesehenen Subreddits (r/iPhone bspw.) begegnet man Vorwürfen eher mit einer Mischung aus Ironie und Zynismus. Denn selbst, weil Apple nun das Netzteil entfernt, geht einerseits die Welt nicht unter und kann man trotzdem immer noch eines kaufen, wenn man das denn unbedingt braucht. Man kann es statistisch ausrechnen, dass mit der Sättigung unserer Haushalte mit mobiler Elektronik es zunehmend mehr Netzteile in Privatbesitz gibt.

Kontroverse Standpunkte werden viel diskutiert, aber keinesfalls zum Nachteil Apples.

Diskussionen, die von der anderen Seite der Medaille heraus angestoßen werden, stoßen aber ebensowenig auf Gegenliebe. Als jemand auf Reddit behauptete, dass es „nicht so wirklich schlimm sei“, drehte sich am Ende die Diskussion vor allem um die Behauptung, ob man mit einer Meinung der einzige sein könne und den technischen Term der statistischen Unmöglichkeit. Das sagt vor allem Eines: Das Thema taugt nun mal nicht zum Aufreger. Es gibt zwar immer mal wieder Leute, die es vor allem stört, dass Apple gerade ein USB-C-auf-Lightning-Kabel beilegt und damit ein USB-Netzteil voraussetzt. Doch das ist wiederum nur ein Beschaffungsproblem und wird nicht grundsätzlich abgelehnt, ganz im Gegenteil.

Diskussionen verfingen schon bei Apple Watch nicht

Tatsächlich ist das Thema schon länger auf dem Tisch. Sieht man von „Gerüchten“ und Analystenmeidnungen im Vorfeld ab, gibt es so etwas wie eine Generalprobe. Denn Apple entfernte davor im September auch das Netzteil bei der Apple Watch SE, Watch Series 3 und Watch Series 6. Die Diskussion um dieses Thema wurde von Gegnern häufig mit den gleichen Argumenten begonnen, aber beispielsweise im AppleWatch-Subreddit nicht angenommen. Auch dort verfing das Argument nicht, dass Apple nun noch mehr Geld scheffeln möchte.

Das Gros der Nutzer ist sich einige: Wir haben schon genug Netzteile, und es stellt kein so großes Problem dar, wie einzelne es darstellen möchten. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle mit Apples Marketing einverstanden sind.

Ganz außen vor: die Politik

Ob Apple nun „wirklich, wirklich“ die Umwelt im Blick hat, ist aus zweierlei Gründen egal. Angenommen Apple hätte die Umwelt nicht im Blick und es ginge dem Unternehmen nur um den eigenen Geldbeutel, dann kommt am Ende trotzdem ein umweltschonenderes Verhalten dabei heraus.

Egal ist es aber auch, weil diejenigen, die Apple Gier unterstellen, ein anderes Argument gerne vergessen. Angenommen Apple machte es nicht aus freien Stücken der Umwelt zuliebe und aber auch nicht, um Geld zu sparen – dann handelt es im Sinne des gesellschaftlichen und politischen Wandels. Denn es ist die Politik, die mit Blick auf die Zukunft neue Rahmenbedingungen steckt. Ob das im lokalen die Förderung von Investitionen beim Wechsel alter Ölheizungen für Eigenheimbesitzer ist, oder Untersuchungen der EU-Kommission, deren Ziel die Vereinheitlichung von Netzteilen und damit die Vermeidung von Elektroschrott ist. Es gibt eine Tendenz, und aus Apples Perspektive ist es besser, mit dem Strom zu schwimmen, ganz gleich, welche Weltanschauung jeder einzelne von uns verfolgt.

Apple nimmt – wie andere Hersteller auch – politischen Druck vom Kessel, indem es so handelt. Würde es einfach weiterhin seine Netzteile anbieten, würde es deutlich schneller Gefahr laufen, Strafen zahlen zu müssen, weil es absichtlich gegen die sich abzeichnende politische Agenda handelt. Das wäre aus unternehmerischer Sicht fahrlässig, gerade weil Ladegeräte nur die Spitze des Eisbergs sind.


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