Kommentar zur WWDC: Und was ist mit den Entwicklern?

mz, den 7. Juni 2011

Auf der gestrigen Keynote zur Eröffnung der World Wide Developers‘ Conference haben Steve Jobs & Co. viele neue Funktionen von Mac OS X Lion, iOS 5 und iCloud vorgestellt. Treu dem Motto „It’s all about software“ blieb dabei eine Hardware-Neuvorstellung aus. Was im ersten Moment für viel Begeisterung unter den Besuchern sorgte, wird sich aber nun negativ vor allem auf eine Gruppe auswirken: Die Entwickler.

Zugegeben: Beeindruckend war sie schon, die Keynote. Wie immer war alles lange und ausführlich geplant, die eigentliche Show an den Rand der Perfektion getrieben. Diesmal gab es noch nicht einmal Probleme mit dem WLAN. Keiner der Redner hatte Probleme mit der Technik, alle haben ihre Bühnenzeit nach allen Regeln der Kunst hinter sich gebracht – von einem oder zwei kleinen Versprechern abgesehen.

Und dann diese Innovationen! Nicht nur wurden erneut die besten Features von OS X Lion gezeigt, vor allem iOS 5 und die neue iCloud ernteten viel Beifall für das, was uns im Herbst auf unseren Apple-Geräten erwartet. Anders als die Kollegen vom Spiegel behaupten, haben Steve Jobs und Scott Forstall nicht mit Überraschungen gegeizt: Eine To-Do-App, die sogar an Aufgaben erinnern kann, wenn man einen bestimmten Ort verlässt. Bildbearbeitung direkt in der Fotos-App. Synchronisation ohne Kabel. E-Mails als ungelesen markieren. Tabs im Browser. Viele dieser Funktionen waren absolut überfällig, einige davon waren aber auch vorher weder angekündigt noch von irgendwem erwartet worden.

Nun stellt sich jemandem, der iOS sehr umfassend benutzt und auch schon seit Jahren Erfahrung mit dem Jailbreak hat, aber eine Frage: Was ist mit den Entwicklern? Steve und Scott haben auch gestern wieder viel Lob für die gute Arbeit der iOS-Developer-Community zu verteilen gehabt. Ein großer Scheck war auf der Leinwand zu sehen. Ein Betrag von 2,5 Milliarden US-Dollar, der bisher an alle Entwickler bezahlt wurde, war darauf vermerkt. Mit der persönlichen Unterschrift von Steve.

Und nicht zu Unrecht gehört auch dieser Teil zu einer Präsentation der nächsten iOS-Generation. Apple hat immer stark von der Entwickler-Gemeinschaft profitiert. 30% aller Einnahmen aus den Verkäufen im App Store gehen nach wie vor an den Konzern aus Cupertino. Und schon früh beklagten sich viele der Programmiere über mangelnden Service bei dem Veröffentlichungsprozedere für Apps. Lange dauerte es zuweilen, bis Updates veröffentlicht wurden. Oft wurden eingereichte Apps abgelehnt, ohne dass ein triftiger Grund dafür genannt wurde. Mehrfach überarbeitete Apple den Zulassungsprozess und bot neuen und erweiterten Service an. Zuletzt hat Simfy angekündigt, Apple zu verklagen, weil die Streaming-App des Anbieters – vermutlich wegen der Einführung der iCloud – nicht für den App Store zugelassen wurde. Und überhaupt: Ohne, dass Apple an Apps irgendwie mitverdienen kann, schafft man es generell schon einmal gar nicht in den Store.

An zu vielen Stellen hatte ich gestern daher den Eindruck, dass ein beträchtlicher Teil der angesprochenen Entwickler nach der Keynote einen ordentlichen Kloß im Hals verspürten. Warum?

Beispiel 1: Twitter-Integration

Twitter ist sehr beliebt, keine Frage. Darum gibt es auch eine Vielzahl an Twitter-Apps, der Markt ist stark umkämpft. Die verschiedenen Clients unterscheiden sich durch ihr Design, ihre Funktionsvielfalt, ihre Stabilität etc. Apple baut nun Twitter in iOS ein, das heißt: Egal, in welcher System-App man sich befindet, man kann direkt aus ihr heraus einen Tweet versenden. @-Namen werden automatisch hinzugefügt, der aktuelle Ort kann mit angegeben werden, absenden, fertig. Für viele – ich unterstelle: Die meisten – ist das absolut ausreichend für die Nutzung des Mikroblogs. Es wird also nur noch eine App gebraucht, mit der man seine Timeline anständig lesen kann. Das macht die Twitter-Apps nicht überflüssig, greift aber in den Markt ein. Frage: Was verändert sich dadurch?

Beispiel 2: Reminders

Auch der Markt der To-Do-Apps ist alles andere als langweilig: Neben Twitter-Lösungen, Kamera-Apps, Newsreadern und Spielen ist dies die umfangreichste Sparte im App Store. Es gibt Programme, mit denen man zwischen Mac und iOS-Gerät synchronisieren kann, manche arbeiten bereits komplett in der Cloud, manche beschränken sich minimalistisch auf das iPhone und versuchen, durch Einfachheit zu punkten. Nun kommt Apple daher und zaubert eine eigene Lösung hervor. Kostenlos. In iOS 5 enthalten. Klar, übersichtlich und ebenso innovativ. Synchronisation mit der Cloud, mit iCal, sogar mit Outlook. Frage: Wie viele iPhone- oder iPad-Besitzer gibt es, die sich dann noch eine der teureren Apps im Store zulegen, wenn sie bereits eine hübsche und einfache Lösung mit den wichtigen Funktionen auf ihrem Gerät haben? Ich behaupte: Wenige.

Beispiel 3: Volume-up to snap

Ein kleines Start-up, das in den vergangenen Tagen viel Medienpräsenz in der Apple-Welt hatte, ist Red Pop. Über das Projektfinanzierungsportal Kickstarter haben die Entwickler Geld gesammelt, um der iPhone-Welt ein einzigartiges, weil innovatives und dabei noch sehr hübsches Produkt zu schenken. Durch die flächendeckende Berichterstattung war bereits am Wochenende weit mehr als die benötigte Summe von US$20.000 erreicht. Aktuell spricht das Konto von mehr als doppelt so viel. Die Funktionsweise des Kameragriffs ist ganz einfach: Man steckt es auf die Unterseite des iPhones und hat beim Fotografieren einen großen roten Knopf an der richtigen Stelle, um den Auslöser zu betätigen.

Nun hat Scott Forstall gestern angekündigt, dass man zukünftig mit dem Knopf zur Lautstärkeerhöhung Fotos schießen kann. Und zwar mit Erscheinen von iOS 5 im Herbst. Red Pop soll nach der ersten Produktionsserie im September zum Kauf angeboten werden. Frage: Wie viele Nutzer werden sich Red Pop für einen (geschätzten) Kaufpreis von 20-30€ noch kaufen, wenn sie davon keine Verbesserung zum Status Quo mehr zu erwarten haben? Doch wohl weniger, als man noch am Wochenende geschätzt hätte.

Dies sind nur einige Beispiele für mögliche negative Folgen, die die nächste iOS-Generation für Entwickler haben könnte. Weitere wären Reading List vs. Instapaper/ Read it Later oder iMessage vs. WhatsApp. Insgesamt steht dahinter auch die Befürchtung, dass viele Apps (z. B. WhatsApp) nun der Rausschmiss aus dem App Store droht, weil die Funktionalität sich mit in iOS integrierten Features überschneidet. Viele Apps haben aus diesem Grund bislang das zeitliche gesegnet.

Dass Apple nach der gestrigen Präsentation der Konkurrenz davon fährt, ist dennoch ein Eindruck, den ich nicht mehr los werde. Insbesondere die iCloud wird bei ihrer Veröffentlichung nicht weniger als konkurrenzlos sein – sofern sie hält, was sie verspricht und Google, Amazon & Co. nicht schnellstens mit vergleichbarem nachziehen.

Was meint Ihr dazu? Seht Ihr auch schwierige Zeiten auf App-Verkäufe von Drittanbietern, insbesondere im Independent-Bereich, zukommen? Oder werden die neuen iOS-Funktionen eher stimulierend auf den Markt wirken und die Entwickler es schaffen, durch neue Alleinstellungsmerkmale und Nutzung der neuen APIs, sich zu halten? Ich freue mich über Eure Meinungen!


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