Wahrheit oder Pflicht: Macht Apples macOS Big Sur ältere Macs kaputt?

Alexander Trust, den 18. November 2020
Kontrollzentrum in macOS Big Sur
Kontrollzentrum in macOS Big Sur, Bild: Apple

US-Medien berichteten zuerst über Probleme bei der Installation von mac OS Big Sur. Daraufhin machte unter anderem die österreichische Postille DerStandard ein Thema daraus, dass das Update ältere MacBook Pros „zerschießt“, und am Ende des Tages fragt niemand, ob der Aufruhr eigentlich berechtigt ist. Was ist dran an der Behauptung, macOS Big Sur würde ältere Macs in Mitleidenschaft ziehen?

Wir leben in einer Zeit, die so schnell geworden ist, dass sich Geduld nicht mehr auszahlt. Das sorgt für viele Momente, in denen Behauptungen in die Welt gesetzt werden, für die man sich später entschuldigen müsste, aber selbst das nicht mehr geschieht.

Zerschießt macOS Big Sur ältere Macs?

Alleine die Frage suggeriert eine Tragweite, die dem Thema nicht gerecht wird. Schuld daran sind Webseiten und solche, die von anderen blindlings abschreiben, ohne der Sache auf den Grund zu gehen.

Zunächst zum Sachverhalt: Ein paar Nutzer meldeten sich im Forum von Macrumors zu Wort, schrieben, sie hätten Probleme bei der Installation von macOS Big Sur, ein paar mehr Nutzer zeigten das auch in Apples Support-Forum an. Dazu gab es noch Meldungen auf Reddit.

Der erste Fehler, der an dieser Stelle begangen wird: Ein Sachverhalt wird nicht wahrer, je mehr darüber berichtet wird.

Selbstdiagnose aus der Hölle

In einem Reflex von Selbstdiagnose schrieben und schreiben zum Beispiel noch heute einige Nutzer, ihr Mac sei jetzt kaputt, nichts ginge mehr. Sie tun das, wie manche Leute bei sich selbst eine todbringende Krankheit diagnostizieren, nachdem sie Dr. Google konsultiert hatten, selbst aber keine medizinische Ausbildung genossen haben. Um jeden Zweifel auszuräumen betonen sie noch dazu, dass sie wirklich „alles“ versucht hätten, um die Probleme wieder zu beheben.

An dieser Stelle endet dann die Berichterstattung von Macrumors, dem Standard und anderen. Leser werden mit dem Eindruck zurückgelassen, dass die Installation von macOS Big Sur ein hochgradig riskantes Unterfangen ist, an dessen Ende sogar der eigene Mac kaputt sein könnte.

Wie durch ein Wunder funktioniert es wieder …

Ich habe nun an zwei Tagen (Sonntag und heute) mehrere Stunden damit zugebracht, das Thema aufzuarbeiten. Warum? Weil es mich interessiert, und weil ich natürlich auch eigene Erfahrung mit Big Sur gesammelt habe.

Es fällt auf, dass in manchen Fällen dieselben Nutzer, die vorher schrieben, ihr MacBook Pro sei „kaputt“ (engl. bricked), Stunden oder Tage später im gleichen Forum an anderer Stelle zu Protokoll geben, dass sie eine Lösung hinbekommen haben. Genau genommen bedeutet „bricked“ aber gar nicht, dass die Geräte „kaputt“ sind, sondern nur, dass „nichts mehr geht“.

Aber eigentlich muss man noch genauer hingucken. Denn ein Nutzer auf Reddit, auf den sich Macrumors bezog, schrieb, es könnte sein, dass es nicht mehr geht (engl. „it seems to have bricked“).

Dass der Nutzer in einem ersten Reflex ein Problem erkennt und sich damit an die Öffentlichkeit wendet, bedeutet nicht, dass daraus eine Posse gemacht werden muss.

Den Maßstab verloren

Schon lange ist es jedoch so, auch in ganz anderen Kontexten, dass Medien den Maßstab verloren haben. Eine Twitterblase in der einige hundert Accounts ein Thema kreieren, von denen manche von derselben Person bedient werden, wird zu einem Thema von nationaler oder sogar internationaler Tragweite aufgebläht.

Auch in diesem Fall wirkt es so. Denn der Beitrag auf Reddit verfügt über 51 Punkte (er wurde also 51 Mal mehr positiv gewertet als negativ). Aber was genau bedeutet das? In dem Subforum (Subreddit) zu macOS, in dem das Thema veröffentlicht wurde, gibt es 127.000 Abonnenten. Entsprechend kann man auch mal die Kirche im Dorf lassen.

Man kann aber daraus auch keine echten Schlüsse ziehen. Denn eine positive Stimme oder eine negative Wahl lässt sich nicht eindeutig zuordnen. Hasst da nun jemand Apple, weil jemand dieses Problem hat? Hat dort jemand vielleicht das gleiche Problem? Drückt er positive Zustimmung vielleicht mit einer negativen Wahl aus? All das kann man nicht ablesen anhand der mehr oder weniger anonymen, noch dazu verschwindend kleinen Zahl im Verhältnis zu der Zahl der Abonnenten. Ähnlich deplatziert wollen manche Nutzer mit einem Like auf Facebook ja ein Mitgefühl ausdrücken, weil jemand aus dem Freundeskreis berichtete, dass ein Familienmitglied oder Haustier starb. Aus diesem Grund fügte Facebook nach Jahren der Kritik mehrere Emoji zur Anteilnahme hinzu.

Wie viele Nutzer sind eigentlich betroffen?

Keiner, der bislang über dieses Thema berichtete, machte sich die Mühe, die Zahl derer festzustellen, die ein Problem berichteten. Es gibt in den Diskussionen bei Macrumors, Reddit und in Apples Foren zwar eine überschaubare Zahl an Wortbeiträgen, doch sind die nicht jedes Mal einem Fall eines „kaputten“ MacBooks zuzuordnen. Tatsächlich liegt die Zahl der gemeldeten Fälle um den Faktor 5 bis 6 unter derjenigen der Wortmeldungen, weil Nutzer ja diskutieren und sich eben nicht nur einmal zu Wort melden. Wenn es also 100 Wortmeldungen gab, gibt es nur 20 geschilderte Fälle mit einem Problem. Da es insgesamt mehrere hundert Meldungen auf den unterschiedlichen Plattformen gibt, kann man also von knapp 100 Betroffenen ausgehen.

Dazu kommt, dass viele derjenigen, die anfangs sagten, sie hatten ein Problem, später hinzufügten, dass sie „irgendwie“ in der Lage waren, das Problem zu bewältigen. Die Zahl derer, die entweder die Geduld verloren hatten, oder nicht mehr weiterwussten, oder sich wegen fehlender Kenntnisse direkt an den Support wandten, ist also nach wie vor überschaubar.

Das bedeutet aber nicht, dass macOS Big Sur diese Personen nicht vor Herausforderungen stellte und viel unnötige Zeit mit Fehlersuche und Fehlerbehebung kostete. Apple hat sich mit dem Update nicht mit Ruhm bekleckert. Nur man kann nicht ernsthaft behaupten, dass das Desktop-Betriebssystem eine Gefahr für die Rechner darstellt. Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt und sollte man es später können, oder eben nicht, könnte man dann den Sachverhalt genauso darstellen.

Vorher und nachher

Bei der jetzigen Berichterstattung wird aber weder Gründlichkeit noch Geduld an den Tag gelegt. Der Autor bei Macrumors veröffentlichte den Beitrag am Sonntag, dem 15. November, unter den Eindrücken des eigenen Forums. Doch schon dabei hätte er ein anderes Narrativ wählen „müssen“. Denn bereits auf der ersten Seite der Kommentare, die dort seit Freitag (also zwei Tage zuvor) vergangener Woche eingingen, gab es Hinweise darauf, dass Probleme aufgetreten seien, aber eben einige der Nutzer eine Lösung fanden. Es waren oftmals sogar dieselben Personen, die erst einstimmten, sie hätten das gleiche Problem und dann Stunden oder einen Tag später schrieben, es sei am Ende doch gut ausgegangen. Das hätte Hartley Charlton lesen können. Charlton nennt sich selbst aber einen Journalisten. Zur Aufgabe von Journalisten gehört es, Fragen zu stellen, und Dingen auf den Grund zu gehen.

Aber XYZ hat gesagt

Ein Nutzer berichtet, dass Apple ihn bat, das Gerät einzuschicken. Ein anderer schrieb, dass Apples Ingenieure Bescheid wüssten, und das Problem untersucht würde. In dieser Gemengelage Informationen herauszulesen fällt schwer. Bei Macrumors oder dem Standard jedenfalls werden die Angaben als Indiz für die Validität des Themas herangezogen.

Nur kann man nicht automatisch schließen, dass weil ein Nutzer gebeten wurde, einen Mac einzuschicken, macOS Big Sur diesen Mac zerstört hat, geschweige denn, dass der Computer wirklich kaputt ist. Es soll schon Mac-Nutzer gegeben haben, die mit hochrotem Gesicht vor einem Apple Genius oder einem Gravis-Mitarbeiter standen, weil sie schlicht einfachsten Anweisungen am Telefon nicht folgen konnten oder eben etwas anderes darunter verstanden und sich dann dafür schämten, dass am Ende doch alles funktionierte.

Deshalb ist es aber so immens wichtig, zu schauen, was am Ende dabei herauskommt. Die BILD-Zeitung allen voran zog 1998 die Regierungsfähigkeit der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Zweifel, weil diese seinerzeit beschloss, man wolle schrittweise den Preis für Benzin auf 5 DM anheben. Allerdings handelte es sich dabei nur um ein von der Partei gestecktes Ziel, das man verfolgen wollte. Hätte man Geduld und Verstand bewiesen, sich nicht künstlich echauffiert, hätte man wissen können, was daraus wird. Denn wir haben heute, viele Jahre später, in denen auch die Partei mitregierte, noch immer nicht den Preis von 5 Mark pro Liter Benzin erreicht. Ganz im Gegenteil behaupten Analysten, dass die Coronakrise gerade für Ölförderer zur Unzeit kam, weil sie die Nachfrage reduzierte und aber ein Höhepunkt (engl. peak) wegen der Transformation zu Elektromobilität und erneuerbaren Energien für das Jahr 2030 vorhergesagt wird. Es war damals, 1998, sehr unrealistisch, dass die Partei so viel Zuspruch bekäme, um alleine zu regieren und damit die Beschlüsse umzusetzen. Also hätte man sich diese medial inszenierte Aufregung sparen können.

Das gleiche Problem gibt es nur leider in vielen gesellschaftlichen Diskussionen. Eine Behauptung wird in den Raum gestellt, ob berechtigt oder nicht. Anhand dieser zieht man voreilige Schlüsse, die womöglich schon bei genauerem Hinsehen entkräftet werden könnten.

Was hilft bei Problemen mit der Installation von macOS Big Sur?

Durchforstet man die Diskussion rund um diese Probleme mit der Installation von macOS Big Sur, dann gibt es ganz viele verschiedene Lösungen.

Manche Nutzer haben nach langer Wartezeit, in der der Fortschrittsbalken sich nicht fortbewegte, den Rechner neugestartet und hatten dann Glück. Andere mussten beim Neustart eine Taste (Shift) oder eine Tastenkombination drücken. Denkbar ist, dass alle Lösungen zum Ziel geführt hätten, je nachdem womit die Nutzer aber zuerst konfrontiert wurden, sie eben am Ende bei einem anderen Ergebnis landeten.

Nein, Apple hat keine Support-Seite zu dem Problem veröffentlicht

Nun gibt es Forennutzer, die darüber hinaus die Mähr in die Welt setzen, dass Apple seinerseits „genau zu diesem Problem“ einen Support-Beitrag veröffentlicht habe. Das stimmt nicht. Man kann das glücklicherweise sehr gut mit der deutschen Übersetzung der gleichen Support-Seite überprüfen, da Apple immer ein wenig braucht, bis die Übersetzung von Support-Seiten vorliegt. Denn dort steht, dass die Seite am „17. Oktober 2020“ veröffentlicht wurde, also deutlich vor dem Update auf macOS Big Sur. Die deutsche Fassung enthält bislang nur Hinweise zu Macs mit Intel-Prozessor. Die US-Seite wurde hingegen am 17. November 2020 noch einmal aktualisiert. Sie enthält auch Informationen für Macs mit Apple M1-Chip.

Macht macOS Big Sur nun ältere MacBooks aus den Jahren 2013 und 2014 kaputt? Vermutlich nicht, aber in jedem Fall nicht in dem Maße, wie es die Medien suggerieren.

Dass Nutzer mit diesen Geräten jedoch bei der Installation Probleme bekommen können, ist nicht auszuschließen. Dass diese Probleme aber mitunter auch an Schwierigkeiten mit Apples Infrastruktur gelegen haben könnten, ist ebenfalls nicht auszuschließen.

Bleibt nur, Abwarten und Tee trinken.


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