Selbstmorde bei Foxconn, Verzichtsversprechen und etwas Medienkritik
rj, den 26. Mai 2010Bereits der Printausgabe des Spiegel waren Selbstmorde und Arbeitsbedingungen beim iPhone-Hersteller Foxconn einen Artikel wert, nun folgt die Fortsetzung online: angesichts weiterer Suizidfälle soll das Unternehmen von seinen Arbeitern nun das Versprechen einfordern, sich „…niemals in einer extremen Form zu verletzen“. Berichtet wird von 70-Stunden-Wochen und schlechten Arbeitsbedingungen. Foxconn, der Sonderfall in der Sonderwirtschaftszone Shenzen? Eine Meldung und ein Kommentar.
Seit dem Selbstmord eines Arbeiters, der einen iPhone-Prototypen verloren hatte, ist Foxconn in der öffentlichen Aufmerksamkeit – insbesondere als Hersteller von Apple-Produkten. Foxconn beliefert weiter unter anderem Microsoft, Sony, Dell und HP. Mehrere weitere Selbstmorde unter der Foxconn-Belegschaft wurden seitdem aufmerksam registriert. Dass nun das Unternehmen per Brief seine Arbeiter zum Versprechen auffordert, auf Selbstmord zu verzichten und das Unternehmen zu ermächtigen, sie im Fall geistiger Anomalien gegebenenfalls einweisen zu lassen, greift der Spiegel nun dankbar auf.
Berichtet wird von schlechten Arbeitsbedingungen und extrem langen Arbeitszeiten: 70 Stunden in der Woche seien die Regel. Apples Code of Conduct sieht eine maximale Wochenarbeitszeit von 60 Stunden vor. In direktem Zusammenhang damit stünden die inzwischen elf Selbstmordversuche im Jahr 2010 – neun davon erfolgreich.
Die Situation im Foxconn-Werk in Shenzen dürfte sich nicht sonderlich von jener bei anderen Unternehmen der „Werkbank der Welt“ unterscheiden – Produktionsbedingungen in China sind nicht unbedingt als leuchtendes Vorbild in Sachen Arbeitnehmerrechte berühmt. Im Gegenteil – eben als Produktionsstätte unter anderem Apples dürfte Foxconn eher noch unter Beobachtung stehen als andere, namenlose Hersteller. Die immer strenger werdenden Umweltauflagen Apples dürften ihren Teil dazu beitragen, dass Foxconn beispielsweise in Sachen Umgang mit toxischen Substanzen besser dasteht als die Hersteller anderer Unternehmen, die mit der Schadstofffreiheit ihrer Produkte hinter dem Konzern aus Cupertino liegen.
Dennoch: unbestritten ist, dass humane Arbeitsbedingungen auch in chinesischen Fertigungsstätten durchaus im Interesse aller liegen dürften. Siebzigstundenwochen und Verstöße gegen den Code of Conduct oder Richtlinien der ILO dürfen nicht toleriert werden. Nur bleibt beim allgemeinen Foxconn-Bashing ein sehr seltsamer Beigeschmack – nicht nur, weil im statistischen Vergleich die Selbstmordquote beim chinesischen Hersteller alles andere als außergewöhnlich aussieht.
Vor allem, weil mit Foxconn eben der Produzent von höherpreisigen „Lifestyle“-Produkten betrachtet wird (und das recht intensiv), während die allgemeine Situation in Shenzen oder anderen „Welt-Werkbänken“ tendenziell weniger interessiert. Apple macht offenbar die Neuigkeiten sexy – auch die über Selbstmorde in chinesischen Fabriken. Die Sweatshop- und Kinderarbeitsdebatte wird vergleichsweise auf kleiner Flamme gekocht, selbst der jüngste Skandal um den diesbezüglich nicht gerade unbelasteten Discounter Lidl blieb merkwürdig flach.
Zu guter Letzt, weil auch hierzulande die sozialkritische Sau allenfalls nach Promifaktor durchs Dorf getrieben wird: ob der Selbstmord eines Nationaltorhüters oder der Amoklauf eines Schülers – es folgt ein wenig Betroffenheitspflege und das unvermeidliche Lippenbekenntnis zur beängstigend zerstörerischen Kraft des Leistungsdrucks in der heutigen Zeit, wahlweise eines aussortierenden und marginalisierenden Schul- oder Gesellschaftssystems, mit etwas Glück folgt gegebenenfalls eine Titelstory zur „Volkskrankheit Depression“, in der wohlfeile Forderungen zur Entstigmatisierung selbiger aufgestellt werden.
Anschließend geht man über zum Tagesgeschäft. Im Fall Spiegel Online besteht das aktuell im Einschwören der Bevölkerung auf Jahre eisernen Sparens und den damit einhergehenden Sozialabbau. Selbstmorde unter den davon Betroffenen werden eher selten thematisiert.