Kommentar: iTunes Plus, die unterschätzte Revolution
rj, den 7. Januar 2009Das schöne Wort „underwhelmed“ fällt aktuell im Zusammenhang mit der letzten Macworld-Keynote Apples, und tatsächlich wurden viele Hoffnungen der Gemeinde nicht erfüllt. Neben der Entäuschung über die nicht gefeatureten Mac Minis oder dem iPhone Nano gerät die Resonanz auf Apples iTunes-Revolution leider ins Hintertreffen. Dabei liegt die These nahe, dass hier eine ähnliche Unterschätzung stattfindet wie vor Jahren im Fall des ersten iPod. Einige Gründe, warum 2009 doch mit einem Knall begonnen hat, und warum wir das vielleicht erst in ein paar Jahren bemerken.
Als Steve Jobs 2001 den iPod vorstellte, war die Resonanz, nun, etwas dürftig. Ein MP3-Player, na und? – auf diese Quintessenz können viele Kommentare eingedampft werden. Die Folge war indes der Durchbruch für Online-Musik – bis dahin haftete den Songs auf dem Datenträger der Geschmack der illegalen Kopie an. Nachdem der Rio-MP3-Player 1998 auf den Markt kam, folgte noch eine Klage der Musikindustrie gegen den Hersteller. Das ist jetzt gerade 10 Jahre her.
Dass die heutigen Zeiten andere sind, liegt zu einem kaum zu unterschätzenden Anteil an Apple – am iPod und am iTunes-Store. Die Parallelen zu heute sind klar. Der iPod war nicht der erste MP3-Player am Markt, ebensowenig wie iTunes der erste kopierschutzfreie Musikshop im Netz war oder sein wird. In beiden Fällen war die erste Reaktion verhalten, die mittelfristigen Auswirkungen hingegen enorm. Und in beiden Fällen war die technisch erfahrene Userschaft von der Ankündigung enttäuscht und die Masse begeistert.
Das wiederholt sich im Augenblick. Während die Mac-Community die „langweiligste Keynote ever“ beklagt, sind die weniger mac-affinen Medien bis hin zum Radio begeistert und herrschen Statements vor, die das erste große Ding seit der Compact Disc am Horizont sehen – vollkommen zurecht.
Erfahrene User wird es weitgehend kalt lassen, dass sie nun barrierefrei Musik transportieren können. Den Gelegenheitsnutzer wird die klare Ansage überzeugen, dass er nun endlich Songs kaufen kann, mit denen er anschließend anstellen kann, was ihm beliebt – von der CD fürs Auto bis zum DVD-Superlongplayer, von der Kompatibilität mit beliebigen Playern ganz zu schweigen. Obgleich iTunes mit der entsprechenden Infrastruktur eine sehr bequeme Lösung ist, darf nicht unterschätzt werden, wie viele potentielle Kunden den Einkauf dort bleiben ließen, weil trotz allem ein iTunes-Track nicht die universale Abspielbarkeit suggeriert wie eine CD.
Es kann gar nicht überschätzt werden, wie eine Ansage in Richtung „Dort kannst einkaufen, das läuft überall“ bei der großen Masse wirkt. Hand aufs Herz: wer wurde schon von technisch weniger beschlagenen Zeitgenossen gefragt, wo man im Netz seine Musik kaufen soll und musste feststellen, auch bei der iTunes-Empfehlung zunächst die vorhandene Player- und Hardwareausstattung abzufragen, anschließend das Shopping- und Abspielprinzip von iTunes zu erklären und zum Schluss noch zu erläutern, warum man besser nicht den 19-Euro-Player aus dem Mediamarkt dazu kaufen sollte?
Der Kampf gegen DRM ist so alt wie die Musik aus dem Netz. Seit gestern scheint er geschlagen: die Majors erlauben dem größten Onlineshop den Vertrieb DRM-freier Musikfiles. Apple hat es bereits verstanden, trotz Kopierschutz den iTunes-Einkauf und die Nutzung der Titel extrem einfach zu gestalten. Dem Unternehmen aus Cupertino ist zuzutrauen, das alles ohne die alten DRM-Fallstricke noch einfacher zu machen – wie man eben auch die CD im Laden kaufte, die anschließend überall lief. Um es kurz zu fassen: Seit gestern gibt es Musik via elternkompatiblem Onlineshopping. Möglicherweise läutet für die kleine Silberscheibe nun wirklich die Totenglocke. Wenn dem so ist, dann wurde der Anlass auf der gestrigen Keynote verkündet.
Wer auf die ultimative Hardware gewartet hat, mag das als wenig bedeutsam betrachten. Die Auswirkungen auf unseren alltäglichen Medienkonsum werden aber größer sein als die eines neuen Mac mini und größer als die eines Apple-Tablets. Bei weitem größer.