Wirecard verliert 2/3 an Wert: Was das für DEKA und (deutsche) Sparer bedeutet

Alexander Trust, den 19. Juni 2020
Geld
Geld, Bild: CC0

Wenn man sagt, dass Wirecard das erste Opfer der Coronavirus-Krise sei, dann würde man lügen. Denn bei dem börsennotierten Konzern aus Deutschland, der international Bezahlsysteme anbietet, war schon vor Jahren alles auf Risiko getrimmt. Nun gab es gestern allerdings eine Hiobsbotschaft. 1,9 „Milliarden“ Euro sind nicht auffindbar. Das hat auch Folgen für manchen (deutschen) Sparer.

Was genau hat eine Meldung zu Wirecard auf einer Webseite wie Macnotes verloren? Der Grund ist einfach. Wir selbst haben vor zwei Jahren selbst einmal in Wirecard investiert. Doch unser kleines Investment dauerte nicht lange. Denn schon damals gab es bei „WDI.DE“ mächtig Sand im Getriebe. Es war bemerkenswert, wie viel Geld das Unternehmen in immer neue Übernahmen steckte. Interessant, wie viele neue Kooperationen und Kunden man an Land zog. Irgendwo war auch das Interesse für ein Unternehmen aus Deutschland, das womöglich eines Tages PayPal und Co. Konkurrenz machen könnte groß. Doch es kam alles anders. Trotzdem haben wir eben die Aktie noch immer im Blick.

Dramatische Verluste, die alle angehen

Nur was jetzt passierte geht eben alle an. Denn auf den ersten Blick wirkt der drastische Kursverlust (-67%) nach sowieso schon schweren Monaten mit schwankendem Abwärtstrend wie ein esoterisches Flackern, das nur hoch-risikobereite Börsengurus betrifft. Doch leider geht es uns alle an. Okay, „uns“ geht es nicht an. Aber vielleicht den einen oder anderen unter Euch.

Denn niemand geringerer als DEKA Investments („Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen“) gehört zu den Top 10 Investoren am Unternehmen. Diese Information war mir bis heute nicht bekannt. Doch in einem Artikel von Bloomberg kommt genau deswegen auch ein Fondsmanager von DEKA zu Wort. Jan Speich fordert Konsequenzen auf der Führungsebene. Die gab es zum Teil schon. Denn der COO, Jan Marsalek, wurde am 18. Juni bis auf Weiteres von seinem Posten enthoben. Eine Rückkehr zum Unternehmen ist jedoch denkbar, sollte sich das Schlamassel auflösen.

Wie bald 2 Milliarden Euro auf den Philippinen verschwinden

Um welche Misere es sich handelt? Wenn jemand wissen möchte, wie 1,9 „Milliarden“ Euro auf den Philippinen verschwinden können, der darf getrost bei Wirecard nachfragen.

Offenbar lagerte Wirecard derart viel Geld bei zwei chinesischen Banken. Oder zumindest dachte es das. Denn vor der Bekanntgabe des eigenen Jahresabschlussberichts kam es zur Prüfung durch die damit beauftragten Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young. Die stellten fest: Es gibt keine ausreichend validen Dokumente, die Bankguthaben auf Treuhandkonten bestätigten. Dies war ein Euphemismus. Denn tatsächlich informierten Ernst & Young Wirecard darüber, dass die Banken „tricksen“ würden. Dem Unternehmen wurde suggeriert, es habe Geld auf Treuhandkonten, die mit der Realität wohl nicht übereinstimmen. Ist nun das Geld komplett weg? Ist am Ende alles nur ein Missverständnis?

Die Zahl von 1,9 Milliarden Euro jedenfalls ist immens. Denn sie macht in etwa 25% der Konzernbilanzsumme aus.

Aus diesem Grund verschob Wirecard abermals seinen Jahresabschlussbericht.

Die Gemengelage? Chaotisch. DWS Investments (Deutsche Bank), das offenbar ebenfalls investiert ist, prüft die Möglichkeit zur Klage. Vorsorglich gab DWS bekannt, dass man bereits bis zum 17. Juni 60% seiner Position reduziert habe.

Besorgnis erregende Situation

DWS und DEKA sind zwei große Fondsanbieter in Deutschland, auf die viele Sparer vertrauen. Diese Entwicklung ist Besorgnis erregend. 2016 gehörte DEKA auf Platz 3 der zehn größten Fondsanbieter am deutschen Markt, wie es bei WiWo heißt. Das Unternehmen verwaltete 222 Milliarden Euro Fondsvermögen.

Sollte das Geld wider Erwarten nicht auftauchen und aber Wirecard eigene Verbindlichkeiten ablösen müssen, könnte das Unternehmen sogar noch weiter in Schieflage geraten. Wie sagt man so schön: Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Warum aber Investmentbanken für Sparer so große Anteile an so stark risikobehafteten Unternehmen halten, sollten einem die Verantwortlichen vielleicht selbst erklären. Man kann so ein Invest als durchaus verantwortungslos bezeichnen. Nur sollte eben gerade DEKA als Teil der Sparkassengruppe genau das Gegenteil verkörpern.

Update vom 19. Juni 2020 (10:30 Uhr): Die Aktie von Wirecard gab heute erneut nach, rangiert momentan bei knapp 25 Euro (gestern waren es zu Börsenschluss noch knapp 40 Euro). Das ist zwar nach wie vor fünfmal so viel wie zur Ausgabe 2006. Doch im September 2018 erreichte Wirecard auch schon einmal knapp die 200 Euro. Jemand, der zu diesem Kurs einstieg hat entsprechend viel Geld verbrannt.

Update vom 19. Juni 2020 (19:50 Uhr):  Heute Vormittag dann trat der Chef des Unternehmens, Markus Braun, vom Posten als CEO zurück. Braun ist gleichzeitig größter Einzelaktionär und verlor durch den Wertverlust der Aktie ein immenses Vermögen. Interimsweise übernimmt den Posten James Freis, der schon für FinCEN und die Deutsche Börse arbeitete.

Update vom 22. Juni 2020 (14:45 Uhr): WDI gibt eine Pressemeldung heraus und bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Das Geld ist futsch, bzw. es gab das Geld auf den vermeintlichen Treuhandkonten auf den Philippinen nie. Die philippinischen Finanzinstitute bestätigten, dass die Unterlagen von Finanzprüfern über das Vorhandensein der 1,9 Milliarden Euro gefälscht seien. Aus diesem Grund muss das Unternehmen möglicherweise auch vorherige Jahresabschlüsse neu berechnen.

Update vom 23. Juni 2020 (12:00 Uhr): Nachdem Markus Braun vergangene Woche vom Posten als Chef des Unternehmens zurücktrat, wurde er nun festgenommen. Die Staatsanwaltschaft München meldete, dass der Unternehmer sich am Montagabend selbst gestellt habe. Braun wird Bilanz-Betrug vorgeworfen. Ermittlungen gegen Braun laufen bereits seit Wochen, aber aus anderem Grund. Ihm wurde zuvor vorgeworfen, Anleger in zwei Ad-hoc-Mitteilungen falsch informiert zu haben. Darüber hinaus gehen die Ermittler davon aus, dass es in der Konzernzentrale Mitwisser gegeben haben muss.

Update vom 23. Juni 2020 (15:30 Uhr): Der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun kommt wieder auf freien Fuß. Er kann unter Auflagen (sich einmal wöchentlich melden) und gegen Hinterlegung von 5 Millionen Euro Kaution freikommen.

Update vom 25. Juni 2020 (11:00 Uhr): Der ehemalige Chef von Wirecard, Markus Braun, musste große Teile seiner Aktien verkaufen. 5,5 Millionen Stück um genau zu sein. Laut FAZ kaufte Braun diese auf „Pump“, entsprechend forderten die Kredit gebenden Broker nun Nachzahlungen oder eben den Verkauf. In mehreren Schritten soll Braun insgesamt 155 Millionen Euro erlöst haben. Doch es kommt noch schlimmer, denn das Unternehmen beantragte heute Früh beim zuständigen Amtsgericht Insolvenz.


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