Wirtschaftsjournalismus: Gründerszene, Springer und Rewe-Topfset zum Tiefstpreis
Alexander Trust, den 21. April 20202014 übernahm der Axel-Springer-Verlag die Mehrheit am Start-up „Vertical Media“. Dessen Vorzeigeprodukt? Gruenderszene.de – das Blog zur deutschen Start-up-Szene. Schon damals bekam ich Sorgenfalten. Doch Anfang April 2020 gab es dann den Sargnagel für das Projekt. Springer möchte nämlich „Business Insider Deutschland“ und „Gründerszene“ zusammenlegen.
Die Redaktion von Gründerszene erklärte Anfang dieses Monats total an der Realität vorbei:
„Die Axel Springer SE investiert weiter in journalistische Qualität und führt die beiden digitalen wirtschaftsjournalistischen Angebote von Business Insider Deutschland und Vertical Media, dem Medienhaus von Gründerszene, zusammen.“ (Redaktion Gründerszene)
Ich wollte eigentlich schon damals ein paar Worte dazu verlieren. Nun bot sich mir aber ein absurd tragikomischer Anlass, der nur zu gut zeigt, wohin die Reise gehen wird.
Business Insider (BI) ist total oberflächlich
Wer die Online-Angebote von Springer kennt, und seien es eventuell nur Sport-, Auto- oder Computer-BILD, der findet dort immer auch Werbung in eigener Sache. Ein Magazin, das regelmäßig über „Anzeigen“ gefeatured wird: Business Insider Deutschland (BID). Ich betone explizit: Das ist „nicht“ das Problem.
BID besteht leider noch immer zu einem Teil aus Übersetzungen des Originals. Und das präsentiert mit Clickbait-Überschriften viel zu oft lediglich substanzlose Klickstrecken oder langweilige, oberflächliche Erfahrungsberichte. Letztere geben oft genug vor etwas zu sein, das sie nicht sind. Fast kommt man sich bei der Lektüre vor, als wäre man auf einer absurden Schneeball-System-Webseite gelandet, die einem ein Wundermittel gegen Haarausfall präsentiert, das es eigentlich gar nicht gibt.
Wirtschaftsjournalismus, oder wie man Haarausfall stoppt?!
Warum? Nun weil genau sowas auf Business Insider dutzendfach publiziert wird. „Signs your hair loss isn’t normal – and how you can stop it“ ist nur eine von vielen Überschriften in diesem Qualitätsmagazin für Wirtschaftsjournalismus?!
Der Grund, warum solche und andere Beiträge bei BI laufen, ist das Werbeumfeld. Ganz ähnlich kommentierte ich ja zuletzt auch schon die konversionsbasierte Redaktion.
Doch auch für den Technik-Profi gibt es bei BI und BID „geheime“ und „exklusive“ Tipps und Tricks, wie man beispielsweise den Akku vom iPhone richtig entlädt, oder wie seine eigene Produktivität steigert. Die Beiträge sind oft kalter Kaffee, der mit einem Schaumschläger immens aufgebläht wird. Würde das Magazin (sprachlich) nicht so auf die Pauke hauen, wäre auch das kein Problem.
Die neue Qualitätsoffensive, oder Topfset zum Tiefpreis
Die Redakteure von Gründerszene möchte ich fragen: Seid ihr wirklich so verblendet? Denn die Behauptung, Axel Springer SE investiere in journalistische Qualität ist eine Frechheit. Erst heute warb das Unternehmen auf Seite 1 von BILD wieder für einen Beitrag „(a)us unserem Netzwerk“, der die geballte wirtschaftsjournalistische Kompetenz erahnen lässt.
„Bei Rewe bekommt ihr gerade ein fünfteiliges Topfset von Silit zum Tiefstpreis“, heißt es dort. Wenn das der Anspruch an die Qualität von Wirtschaftsjournalismus in Deutschland ist, na dann gute Nacht. Dann habe ich auch kein Mitleid mit der Redaktion Gründerszene.
In einem Magazin für Wirtschaftsjournalismus erwarte ich substanzielle Berichte über Unternehmen und Technologien, über Infrastruktur und Politik. Warum aber landet auch dort so ein Affiliate-Müll? Ja, weil ein Klick auf den Link im Artikel die Kassen von Springer klingeln lässt. Nicht zuletzt gehört ja auch die Preissuchmaschine Idealo zu Springer und verdient das Unternehmen dort mit. Dort aber ist es gewollt und sinnvoll, bietet das Produkt einen Mehrwert. Werbung für ein Topfset, das vielleicht sonst niemand kauft, bietet diesen nicht.
Provisionsbasiertes Marketing ist Gift für den Onlinejournalismus
Ich verstehe die Idee hinter provisionsbasiertem Marketing, ehrlich. Auch wir versuchen hier und da mal ein paar Euro darüber zu erzielen. Nur ich sehe auch die Gefahr, dass wir auf diese Weise „Journalisten“ zu Mitgliedern einer weltweiten Drückerkolonne machen.
Ich saß leider schon in (virtuellen) Redaktionen, in denen der Chef/Redaktionsleiter schlechte Laune hatte, weil im letzten Monat zu wenig geklickt und zu wenig gekauft wurde. Ihr seid aber doch kein Kaufhaus und kein Versandhandel, sondern eine „Zeitung“, ein „Magazin“ und Euer Anspruch ist die „Information“. Und vor allem: Denkt Euch doch etwas mit Substanz aus, für das die Leute auch gerne Geld bezahlen. Dann müsst Ihr nicht für den Müll von anderen werben, in der Hoffnung, dass das euren Arsch rettet.