Lernen mit Apple 2: Schulen ans oder vom Netz?
rj, den 11. März 2011Ob Schulen ans Netz gehören, ist unstrittig geworden, was die Rechner im Unterricht machen, wo Lernkonzepte mit Computern und neuen Medien sinnvoll sind und wo nicht und insbesondere, wie es um Aufwand, Nutzen und die sich alltäglich ergebenden Probleme angeht, ist es hingegen ohne konkrete Ergebnisse still geworden. Einige kritische Bemerkungen zu einer eingeschlafenen Diskussion.
Dass man mit Rechnern, insbesondere mit Macs, an der Schule einiges machen und vieles gut bzw. besser vermitteln kann, ist Grundannahme (nicht nur) in Nergers „mac education: Digitale Medien im Unterricht mit iLife, iWork, iTunes und Apple-Technologie“. Diese Grundannahme steht in der öffentlichen Debatte selten in Frage. Tut sie es doch, dann oft nach dem von Clifford Stoll gern gepflegten Muster, dem Rechner einen Lehrauftrag zuzuschreiben, den er nicht bewältigen kann und anschließend den Generalbankrott der „neuen Medien“ im Unterricht zu verkünden: „Ein Rechner kann keinen Walderkundungs-Spaziergang ersetzen, daher taugt er nicht zum Lehren“.
Dass Technik das Lehren und Lernen per se immer vereinfacht und optimiert, kann getrost bezweifelt werden – auch wenn zumindest die öffentliche Rezeption von Musterprojekten wie die „iPhone-Schule“ in Goldau anderes nahelegt.
Noch drastischer konnte ich selbst den „Technik macht alles besser“-Effekt während einer eigenen Projektmitarbeit an einer „Notebook-Universität“ 2003 betrachten, in der noch vor dem Start des Projekts und der Projektevaluation die teilnehmenden Unis in diversen Medien als Vorreiter verbesserter, moderner Lehrmethoden gefeiert wurden.
Aber angenommen, wir sind heute weiter und wissen, wann der Rechnereinsatz sinnvoll ist und wann man mit „herkömmlichen“ Unterrichtsmethoden Inhalte leichter und schneller vermittelt. Vorzüge der Apple-Technik an der Schule werden von Apple selber gepriesen, Beispielprojekte vorgestellt und Erfolge aufgelistet.
Eine ganze Reihe widriger Umstände stehen beim Rechnereinsatz im Bildungssektor dennoch regelmäßig im Raum, die an dieser Stelle exemplarisch aufgeführt werden sollen. Aus Gründen der Ausgewogenheit (man merkt dem Text bereits an dieser Stelle möglicherweise eine gewisse Desillusionierung an) kommen in einem weiteren Beitrag noch Eike Rösch vom medienpaedagogik-praxis.de-Blog sowie René Scheppler von lernwolke.de zu Wort, die den hier geäußerten Bedenken mit jüngeren Praxiserfahrungen begegnen werden.
Ausstattung und Auslastung
Unbenommen: an eine Schule gehören eine Latte ordentlicher Rechner. Dass jeder Schüler sein eigenes Gerät hat, scheint hingegen eher eine Reputationssache zu sein denn didaktische Notwendigkeit. Notebooks sind sinnvoll, wenn an vielen Orten mobil mit dem Rechner gearbeitet werden muss, ansonsten sind sie unnötige Mehrinvestition: weniger Leistung für mehr Geld, schlechte Updatebarkeit, dazu die unvermeidlichen Unfälle und die ungeklärte Versicherungsfrage. Bei jeder Ausstattung von Lernenden mit Laptops ist die Frage zu stellen, in welcher Nutzen-Relation der Laptop zum Rechnerraum steht.
Letzterer bietet zentral wartbare, günstige Rechenleistung und insbesondere vernünftige Auslastungen. Ein persönlicher Rechner ist im Schulalltag und zur schulbezogenen Nutzung während lächerlich geringer Zeiträume angeschaltet und in Verwendung. Ein zweimal am Tag von einer Klasse belegter Rechnerraum generiert ein Vielfaches der Rechnernutzungszeit verglichen mit dem „persönlichen Notebook“. Der simple Raumwechsel erspart das Herankarren der Laptops, die Stromverlegerei (Akkus sind *immer* leer), die sicher eintretenden Netzwerk/WLAN-Probleme und auch die leidige Frage, wer eigentlich zahlt, wenn das Notebook vom Tisch fällt. Und braucht man die Rechner nicht, macht man die Tür zu.
Didaktische Konzepte
Denn tatsächlich „braucht“ man den Rechner im Unterricht eher selten. Was nebenbei auch Nergers Buch zeigt: in den vorgestellten Projekten lernen die Schüler neben dem „eigentlichen Lerninhalt“ insbesondere die Bedienung der Technik, weiter (wichtige!) medienpädagogische Inhalte dahingehend, wie mediale Aufbereitung und Darstellung die Sicht auf ein Thema verändern, verbessern und auch manipulieren können. Keine Frage: das sind wichtige Lerninhalte, die vermittelt werden müssen. Gerne auch mehrfach – aber nicht permanent. Nicht jedes Matheproblem wird leichter begriffen, wenn man es in eine Tabellenkalkulation überträgt, nicht zu jedem Mikroskopieprojekt in Bio muss man eine Diashow erstellen, nicht jedes Problem wird didaktisch sinnvoll mit einem Wikipedia-Nachschlagen gelöst und oft genug sind gerade im schulischen Lernbereich Stift und Heft einer Tastatureingabe um Meilen voraus.
Im „mac education“ zeigt sich dieser Effekt exemplarisch: sobald man versucht, die „Modellprojekte“ zum Regelfall zu machen, stellt man fest, dass der Aufwand für ein Inhaltsmodul durch den Rechner steigt. Fällt der medienpädagogische Lehrinhalt durch sein Schon-Vorhandensein weg, hat der erhöhte Zeit- und Ressourcenaufwand keinerlei Mehrwert.
Kritik der Kritik
Unfairerweise nehme ich eine (teilweise) Entkräftung der hier angeführten Thesen kurz vorweg. Der Medienpädagoge Michael Schaller kommentierte einen Preview dieses Textes, dass die Kritik
„…an den neueren Entwicklungen (Leitmedienwechsel, soziale Netzwerke usw.) vorbeigeht. Wenn ich mir anschaue, wie sich mein eigenes Lernen durch das Internet gewandelt hat, ist das etwas ganz anderes (Vernetzung mit anderen, Verfügbarkeit von Informationen, Austauschmöglichkeiten usw.), d.h. es gibt jetzt einfach ganz neue Lernformen und auch neue Qualitäten. Diese sind so in der Schule natürlich nicht sichtbar, können auch nicht einfach durch den flächendeckenden Einsatz von Rechnern/Notebooks erreicht werden […] aber was sind die Möglichkeiten? Ab und an mal in einen Computerraum, um sich am Rechner irgendwas ‚erklären‘ zu lassen, dass kanns ja auch nicht sein, oder möchtest du, dass dir jemand vorschreibt, wann du das Internet nutzen darfst? Eine positive Vision geht meiner Meinung nach schon eher in die Richtung eines mobilen (sei es jetzt iPhone, iPad, Android oder was auch immer) mobilen Gerätes, das – wenn es gebraucht wird – genutzt werden kann.“
Michael Schaller
Was mich zu meinem Vorwurf an den bisherigen Konzepten zurückbringt: das Prinzip von Rechner und Internet als neues Leitmedium bzw. neue Kulturtechnik, die analog zum Lesen, schreiben etc. „natürlich“ verwendet wird, bleibt in meinen Augen didaktisch nach wie vor leicht unterbelichtet.
Und die Hochschulen?
Nach „Computer und Internet“ und der zweiten Hypewelle Notebooks/WLAN wird nun das iPad zum spannenden Thema insbesondere in der Hochschuldidaktik. Das Tablet als „immer-dabei-Bibliothek“ mit vergleichsweise einfachem Handling, Unitag-tauglichen Akkulaufzeiten und Kollaborationsmöglichkeiten ist in erster Linie ein Ersatz für lese- und Schreibausstattung, aber als solcher wird beispielsweise aus dem Reed College hoher Nutzwert gemeldet. Bemerkenswert: der hohe Nutzen stellt sich unter anderem dadurch ein, dass der Rechner bzw. das Tablet nicht mehr „nur“ als genuines, eigenständiges Medium genutzt wird, sondern wenn Funktionen und Prinzipien von Buch, Stift und Papier möglichst „originalgetreu“ nachgebildet werden.
Generell ist die „private“ Ausstattung mit einem Rechner an den Hochschulen selbstredend zum Normalfall geworden, wobei hier der Rechner als alltägliches Arbeitsgerät auch und gerade zum selbstorganisierten Lernen und Arbeiten schlicht eine andere (und zentralere) Rolle spielt als an der weniger „individualisiert“ und selbständig lernenden Schule.
Fazit, subjektiv
Rechner an der Schule sind überschätzt, was die Einsatzmöglichkeiten betrifft, unterschätzt, was Kosten und Aufwand angeht. Apple Hard- und Software ist durch einfache Bedienbarkeit und vergleichsweise langer „Veraltungszeiträume“ der Rechner eine interessante Option, aber angesichts hoher Preise und der starken Notebook-Ausrichtung der Apple-Produktpalette muss umso stärker darauf geachtet werden, dass die teure Anschaffung auch verwendet wird. Gerade im Schulkontext ist dabei nicht die gern gestellte Frage nach der „TCO“ interessant, sondern die nach der Zahl der tatsächlich absolvierten „Rechnerstunden“, in denen die Geräte tatsächlich sinnvoll im schulischen Einsatz sind. Persönliche Vermutung: die Ergebnisse könnten ernüchternd ausfallen.
Die didaktische Aufbereitung von Schulstoff für eine Mac-Lernumgebung dürfte weiterhin in den meisten Fällen eine Luxus-Problemstellung sein – in der tristen Realität wird es der technikaffine Pädagoge tendenziell häufiger mit einem heterogenen, Wintel-basierten Rechnerpark zu tun haben – wobei es weiterhin einige ernstzunehmende (und geförderte) Initiativen zum FLOSS-Einsatz an Schulen gibt. Zusammen mit den im Vergleich zu vor 10 Jahren drastisch günstiger gewordenen Desktops ergeben sich hier weitaus bezahlbarere Szenarien wie noch vor nicht allzu langer Zeit.
Dennoch: der überwiegende Teil der an Schulen vermittelten Inhalte lassen sich günstiger und leichter mit Tafel, Totholz und der gern unterschätzten Exkursion vermitteln. Eine Ausstattung zur Durchführung medienpädagogischer Projekte ist definitiv sinnvoll und wünschenswert, eine Aufbereitung großer Anteile des Schullernstoffes auf „rechnergestützte“ Methoden indes didaktisch fragwürdig. Zugespitzt gesagt: Ein Pythagoras ist an der Tafel nicht weniger anschaulich als auf dem Bildschirm, eine Diskussion über Demokratie nicht ergiebiger, nur weil man sie auf Video aufnimmt und in iMovie schneidet. Was trivial anmutet, muss man sich bei der Lektüre einschlägiger Technikapologie indes oft sehr bewusst in den Hinterkopf rufen.
Weitere Teile der Reihe Lernen mit Macs an der Schule
- Götterdämmerung in der (Medien)Pädagogik: Wenn Computer zum selbstverständlichen Werkzeug werden
- Lernen mit Apple 1: mac:education von Uwe Nerger, Buchrezension