Apple, Gefahr für das freie Internet? Tim Wu über Netzneutralität und Medienmogule
rj, den 16. November 2010Sein Buch heißt „The Master Switch“, und die These, die der Rechtsprofessor der Columbia-Universität Tim Wu darin vertritt, lautet, dass das Internet zunehmend einer monopolisierten Kontrolle unterworfen wird. Als Hauptakteur dieses Prozesses befürchtet er Apple. Wie AT&T Anfang des vergangenen Jahrhunderts seine Stellung als „wohlwollender Monopolist“ missbrauchte, wird auch das Internet möglicherweise in kommenden Entwicklungszyklen zum immer geschlosseneren System mutieren.
Irgendein Jurist ist Wu beileibe nicht – auch wenn er den inzwischen auch in der deutschen Debatte angekommenen begriff der „Netzneutralität“ geprägt hat. Wu lehrt Urheber- und Medienrecht und analysierte in seinem Titel „The Master Switch. The Rise and Fall of Information Empires” die Entwicklung von Medien und Medienmonopolen in den USA. Seine These: Die Freiheit dieser Medien und ihrer Nutzung ist auch in den liberal-kapitalistischen USA mitnichten selbstverständlich, sondern historisch vom Aufkommen und Niedergehen verschiedener Monopole geprägt. Einen solchen Zyklus befürchtet bzw. erwartet er auch mit dem Internet. Einer der Hauptprotagonisten sei Apple, Steve Jobs wiederum entspräche dem klassischen „Medienmogul“, der dazu tendiere, sein eigenes, persönliches Königreich aufzubauen.
Er wolle „zu viel Kontrolle“, so Wu über Jobs, und als Antwort auf die Frage, welche Unternehmen er am meisten fürchte, antwortet er ein klares „Im Augenblick muss ich sagen, Apple.“ Konkreter:
„Ich weiß, dass das Internet mit einer Architektur ausgestattet wurde, die der Integration und zentralisierter Kontrolle widerstehen sollte, und dieses Design besiegte Unternehmen wie AOL und Time Warner. Aber heutige Unteernehmen wie Apple machen es unklar, ob das Internet etwas bleibendes ist oder nur ein weiterer Zyklus.“
Nun ist Apple durch seine Strategie der „Appisierung des Internet“ auch bei Macnotes ausführlich kritisierter Protagonist des Trends hin zum geschlossenen System. Die Apps als Symbol geschlossener Systeme auf geschlossenen Plattformen, die (noch) marktbeherrschende Stellung von iTunes und der Trend weg vom Universalgerät Computer zum spezialisierten Gadget als Internet-Endgerät wird im Interview mit Wu jedoch nirgends konkret erwähnt.
Auch Veranschaulichungen, wie ein solcher „Zyklenwechsel“ aussehen soll, fehlen – meint Wu vielleicht einen ähnlichen Niedergang „des Internets“ gegenüber neuen, app-basierten Medienstrukturen wie seinerzeit der des Usenet gegenüber dem WWW? Selbst beim Vergleich mit der Monopolisierung der Telefonie durch AT&T um 1910 muss Wu zum Vergleich des Versprechens „verantwortungsvollen Handelns“ von AT&T das googlesche „do no evil“ heranziehen. Man hätte sich gerade bei diesen historischen Vergleichen und Parallelen einige konkrete Begründungen der Apple-Kritik gewünscht.
Im Tim Wu-Feature der NYT finden sich indes in erster Linie vages Unbehagen und – wenngleich zutreffend erscheinende – Persönlichkeitsanalysen von Medienmogulen unter besonderer Berücksichtigung von Steve Jobs. Sucht man die konkreten Argumente, wird man wohl das ganze Buch lesen müssen. Clever, Mr Wu.
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