Google Nexus One: Hands On bei der iPhone-Konkurrenz
rj, den 4. Februar 2010Wer hätte vor drei Jahren gedacht, dass Apple und Google 2010 den Streit um das beste Smartphone am Markt ausfechten? Die Konkurrenz wurde in den vergangenen Tagen öffentlich verkündet, die Bandagen angesichts Googles provokanter Einspielung des Multitouch-Updates härter und (rechtlich) riskanter. Guter Grund, sich den iPhone-Konkurrenten genauer anzusehen. Googles Nexus One überzeugte beim ersten Eindruck noch nicht vollkommen, näher betrachtet, entfaltet der iPhone-Konkurrent einige Qualitäten und einige Schwachpunkte. Insbesondere aber eine ganz andere Philosophie.
Eben wegen dieser anderen Philosophie muss diesem Test vorangestellt werden, dass er von einem eingefleischten iPhone-Nutzer geschrieben wurde und man auch bei der Bemühung um „Objektivität“ nicht völlig unvoreingenommen ein Nexus bedient. Spätestens, wenn es um „intuitive“ Bedienbarkeit geht, wäre das schlicht vermessen. Ich gehe aber davon aus, dass der Großteil der Leser aus der iPhone-Ecke in Richtung Nexus blicken und ähnliche Eindrücke hätten. Dennoch der Disclaimer: Der folgende Testbericht über das Nexus One ist stark vom langen, vorhergehenden iPhone-Gebrauch geprägt.
Inbetriebnahme und erste Eindrücke
Das Nexus One ist trotz der beim Unboxing angesprochenen Irritationen schnell in Betrieb genommen. Ein halb geladener Akku war unserem Testgerät beigelegt, das Smartphone verlangte nach dem Einschalten die SIM-Pin, um anschließend direkt funktionsfähig zu sein. Telefonie und W-LAN standen out of the Box zur Verfügung, viele Dienste verlangen indes nach dem obligatorischen Google-Konto – kein großer Unterschied zum iPhone, welches stattdessen eben ein iTunes-Account voraussetzt.
Das Nexus wirkt robust verarbeitet und liegt mit seiner griffigen Oberfläche gut in der Hand. Aussehen ist Geschmacksache, aber in Sachen Design scheint das Nexus dem iPhone nicht einmal ernsthaft Konkurrenz machen zu wollen – man setzt auf die praktischen Werte. „Bescheiden“ in durchaus positivem Sinn ist einer der Begriffe, die einem zum Nexus-Design in den Kopf kommen.
Beim Trackball kommen Befürchtungen auf, ob das bewegliche Teil mit der Zeit verschmutzt oder verschleißt, „Staubfängercharakter“ konnten wir in der bisherigen kurzen Testzeit keine beobachten. Die Tonqualität ist prima, der Lautsprecherklang etwas dünn, letzteres ist bei einem Smartphone verschmerzbar.
Auf 3,7″ Diagonale bringt das Nexus One 480×800 Pixel auf einem konrastreichen Bildschirm unter – eine über doppelt so hohe Auflösung als jene des iPhones, die bei vielen Anwendungen deutlich ins Auge springt. Die Prozessorleistung des Gigahertz-Chips schien beim Testen ausreichend bemessen, in Sachen Wärmeentwicklung und Akkulaufzeit braucht sich das Smartphone vor dem iphone nicht zu verstecken, vermag aber auch nicht zu punkten. Knapp bemessen sind die 4GB Speicher, die dem Nexus mitgegeben werden – 32GB-Karten sind jedoch ebenfalls einsetzbar.
Bedienung
Ganz so intuitiv wie beim iPhone erschließen sich die Möglichkeiten des Nexus One anschließend nicht. Statt auf eingängige Schlichtheit der Bedienkonzepte selber setzte man beim Android-Smartphone auf kurze, informative Infotexte, die zu vielen Apps und Features standardmäßig angezeigt werden. Das Format setzt Grenzen – wird man beispielsweise zum ersten Mal auf das notwendige Google-Account hingewiesen und gibt eines an, tappt man möglicherweise in die Falle, ein Googlekonto ohne Google Mail-Account verwenden zu wollen – das klappt nicht, was man beim, aber nicht vor dem Versuch erfährt.
Über den Menuknopf erschließen sich dann die meisten Features der verschiedenen Apps von selbst. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die zwei Homescreen-Ansichten sowie die vier Buttons plus Trackball, die nach dem diesbezüglich höchst sparsam ausgestatteten iPhone ein wenig wie Knopfoverkill wirken. Man gewöhnt sich indes daran. Dasselbe gilt für den „Wust“ an Bedienelementen – neben den Hardware-Bedienelementen buhlen eine Pulldown-Infoleiste, Icons und Widgets unterschiedlichster Funktion auf dem Homescreen um die Aufmerksamkeit des Nutzers. Mit der „Alles ist eine App“-Philosophie des iPhone hat das wenig zu tun.
Die Auslieferung des Multitouch-Updates für das Nexus One läuft seit vorgestern, unser Testgerät ist bislang noch nicht mit den Mehrfingergesten ausgestattet worden. Diesbezügliche Einschränkungen werden in den kommenden Tagen behoben, anschließend droht allenfalls noch die unwahrscheinliche Möglichkeit, dass Apple den Konkurrenten auf juristischem Weg wieder zum Deaktivieren von Multitouch-Features zwingen könnte – allenfalls in den USA eine Befürchtung wert.
Die Spracheingabe funktioniert, dürfte in den meisten Fällen jedoch Spielerel sein, abgesehen von den klassischen „fingerfreien“ Situationen wie der Navigation im Auto. Ansonsten tippt es sich auf der Onscreen-Tastatur tadellos, ob im Quer- oder Hochformat. Insbesondere die schmale Keyboardvariante wirkt angesichts enger, kleiner Tasten schwer bedienbar, in der Praxis ist die Trefferquote indes vollkommen in Ordnung. Die Korrektur- bzw. Vorschlagsfunktion für Begriffe und Schreibweisen scheint dem ersten Eindruck nach praktisch und mit wenig nervpotential umgesetzt.
Reagiert die Tastatur in der Regel verlässlich, hakt vermutlich die Funktion zum „versehentlichen“ Starten von Apps auf den Homescreens gelegentlich – das Antippen wird registriert, war dann aber zu kurz oder zu lang.
Etwas albern scheint die Einschränkung im Landscape-Modus: bei den meisten Apps und Anwendungen lässt sich das Nexus nur nach links ins Breitformat kippen. Dreht man es auf die rechte Breitseite, steht ein Landscape-Bild auf dem Kopf.
Musikplayer
In Sachen Musik auf dem Nexus ist die eingangs erwähnte Objektivität in anderer Richtung gefährdet. Gebt Richie ein Smartphone, auf das man die MP3-Files einfach via Finder rein- und rauskopieren kann, schon grinst er über beide Ohren. Wer iTunes‘ automatische Musikverwaltung gewohnt ist bzw. auf selbige Wert legt, wird hier natürlich Schwachpunkte finden. Wer sein Smartphone eben wie jeden anderen Datenträger auch an beliebige Rechner hängen und nach Belieben die Tracks kopieren will, wird an der Nexus-Lösung seine helle Freude haben. Files und Ordner werden einfach ins Stammverzeichnis gelegt, der Player auf dem Smartphone erkennt sie und sortiert auch nach Alben und Künstlern. Derselbe Weg gilt natürlich auch umgekehrt. Generell punktet das Nexus mit seiner „Speicherstick“-Funktion natürlich erheblich gegen das iPhone, auf dem ähnliche Lösungen nur mit Hilfsmitteln umsetzbar sind. Als Default-Shop ist der Amazon-MP3-Store installiert.
Wenn vorhanden, zeigt der Player die Cover an, die üblichen Funktionen sind vorhanden und übersichtlich organisiert. Ein paar Knöpfe mehr als Apple hat man der Fernsteuerung im Kabel spendiert, auch hier wird je nach Anwenderphilosophie die Bedienung als besser oder eben umständlicher empfunden werden.
Browser
Der Browser war einer der Punkte, bei dem die anfängliche Android-Begeisterung nach näherer Betrachtung kräftig relativiert werden musste. Der erste Eindruck: groß und schnell. Die höhere Auflösung ist deutlich fühlbar, und der Seitenaufbau von beeindruckender Geschwindigkeit. Nach einem flotten, vollständigen Seitenaufbau auf dem Nexus entwickelt man leicht eine gewisse Aversion gegen graue Karos, die einem auf dem iPhone dann schlicht zu oft begegnen.
Störend, aber wohl behebbar ist die Instabilität – der Nexus-Browser schmiert gelegentlich (im Sinne von „nicht nur sehr selten“) ab. Mit dem Multitouch-Update ist das herein- und herauszoomen in Webseiten und Grafiken nun zufriedenstellend gelöst.
Beim Handling mehrerer Tabs hat man sich hingegen durch die andere Bedienphilosophie des Nexus‘ dauerhaft ins Hintertreffen begeben. Hier wie auch in den meisten anderen Apps werden solche Funktionen über den Menu-Button aufgerufen und auf dem Touchscreen ausgewählt. Was auf dem iPhone ein völlig selbstverständliches Switchen mit ein paar Tippern und Wischern ist, gerät so auf dem Nexus zu einer Odyssee gezielter Tastendrückerei, die man schnell zu vermeiden sucht.
Auf dem Nexus verschwimmen die Grenzen zwischen Browser und OS – Features „um den Browser“ spielen die Google-Stärken natürlich voll aus. Details wie Google Suggest bei der Browserzeilen- oder Sucheingabe oder die konfigurierbaren Newsfeeds mit Google Alerts sind naheliegend, praktisch und gut umgesetzt.
Kamera
Mit einem LED-Blitz ausgestattet und zweifachem Digitalzoom versehen, macht die Kamera ordentliche, 5 Megapixel große Bilder. Der Autofocus reagiert schnell, vom Blitz darf man nicht allzu hohe Leuchtkraft erhoffen, aber für einen Schnappschuss ist das Nexus One dadurch auch in schummeriger Umgebung gut.
20FPS und mehr nimmt die Kamera alternativ in der Videofunktion auf, hier wird die Auflösung auf 720×480 reduziert. Sowohl Bilder als auch Videos kann man sich einfach via USB auf die Platte kopieren, direkt aus der Kamera-App heraus sind Sende-Presets für Google, Facebook, Picasa und MMS sowie via Bluetooth vorgegeben.
Apps
Im Android-Store haben sich inzwischen auch eine Vielzahl von Apps zu einem umfassenden Angebot versammelt. Mit dem Überfluss der App Store-Angebote kann die Plattform nicht mithalten, für viele iPhone-Programme sollten sich jedoch Äquivalente finden lassen.
Eine Übersicht in diesem Bereich würde den Rahmen vollends sprengen – an dieser Stelle daher nur die Anmerkung, dass sich in Sachen Übersichtlichkeit der Android Market und der App Store wenig geben. Was „speziellere“ Apps angeht, wird Apple noch bis auf weiteres die Nase vorn haben. Wenn Android auf diesem Feld nachzieht, wird die Konkurrenz definitiv hart werden – ob das angesichts der stattfindenden Aufsplitterung der Android-Plattform tatsächlich in diesem Maß geschieht, muss die Zukunft zeigen.
Fazit
Einige Kinderkrankheiten sind noch zu beheben, einige Stärken des Google-Handys kommen bereits deutlich zum Tragen, und vieles von dem, was überzeugten Apple-Usern als Inkonsistenz im Bedienkonzept aufstoßen wird, ist der anderen Philosophie geschuldet, die nicht alles aus einem Guss gestalten muss und dafür dem Endanwender auch einige Freiheitsgrade mehr einräumt.
Insofern wird sich die Zielgruppe des Nexus One und des iPhone schneiden, aber nicht decken. Konkurrenz belebt das Geschäft, und dass neue Akteure einen Markt gehörig aufmischen können, hat Apple mit dem iPhone selbst schon demonstriert. Googles erster Streich ist definitiv ernstzunehmen – in Sachen Hardwareausstattung hat das Nexus natürlich mehrmals die Nase vorne, was die Bedienung, das Programmangebot und manche gewohnten Selbstverständlichkeiten angeht, hält Apple den Vorsprung.
Dass ein Smartphone nicht (mehr) für sich alleine überzeugen kann, hat der App Store gezeigt. Die Infrastruktur spielt inzwischen eine zentrale Rolle, Apples Vorsprung ist weit, aber nicht uneinholbar. Was für Apple der App Store, die iTunes- und iCal-Integration auf der Win- und Mac-Plattform darstellt, könnte für Google die Integration der mobilen Dienste, Google Mail, des Adressbuchs und Konsorten sowie die wachsende Zahl weiterer Dienste „in the Cloud“ werden, die man auf dem Nexus bereits auszuspielen weiß. Negativ gesehen, steht dem Kontrollwahn Apples die Datenkrake Google gegenüber – ob hier die Konkurrenz zu offeneren und nutzerfreundlicheren Lösungen führt, wage ich an dieser Stelle nicht zu hoffen.
Vier von fünf Macs hat sich Googles erster Wurf durchaus verdient, und Apple tut gut daran, mit der kommenden iPhone-Generation für klare Verhältnisse zu sorgen. Denn vier von fünf Macs errang seinerzeit ein anderer neuer Stern am Smartphone-Himmel ebenfalls und startete daraufhin eine erstaunliche Erfolgsgeschichte.