User Testing: Wenn die Wissenschaft zum Schummeln auffordert

Alexander Trust, den 18. Mai 2009
Wo ist die Information
Wo ist die Information, Bild: CC0

Usability ist ein wichtiges Stichwort, wenn es um die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft geht. Zwar können Akademiker Usability-Tests auch an Objekten aus dem akademischen Feld durchführen. Häufiger ist jedoch der Fall, dass Forschungseinrichtungen Usability-Tests durchführen, um Produkte von Herstellern zu verbessern, weil man z. B. in solchen Usability-Tests erst entsprechende Fehler am Produkt aufdecken kann. Wie überall, wird auch hier nur mit Wasser gekocht, doch offenbar schützt der akademische Grad nicht davor, sich in eine moralische Grauzone zu bewegen – gelinde gesagt.

Hier eine Anweisung zum bald-schon-Lügen:

„Stellt sich während des Tests heraus, dass eine Testperson einem Produkttest nicht gewachsen ist, darf sie auf keinen Fall bloßgestellt werden. Der Versuchsleiter muss einen mehr oder weniger eleganten Weg finden, den Test abzubrechen.“ (Schweibenz u. Thissen (2003). Qualität im Web: Benutzerfreundliche Webseiten durch Usability-Evaluation. Berlin: Springer. S. 138.)

Soweit ist der Hinweis noch akzeptabel.

„Dazu kann er verschiedene Wege wählen. Eine Möglichkeit ist, der Testperson direkt anzubieten, den Test abzubrechen. Dabei kann der Versuchsleiter anführen, dass die Probleme der Testperson gezeigt hätten, dass der Test zu früh im Entwicklungsprozess stattgefunden habe und dass das Produkt noch zu viele Mängel für den Test aufweisen würde.“ (Ebd.)

Man soll also vorgeben, das Produkt sei zu schlecht, obwohl selbiges für die Zielgruppe evtl. total zufriedenstellend funktioniert, man als Untersuchungsleiter nur die Testperson falsch rekrutiert hat? – Doch es geht noch weiter…

„Eine andere Möglichkeit besteht darin, technische Probleme mit dem Produkt oder der Videoausrüstung vorzutäuschen oder die Überschreitung der vorgesehenen Testzeit vorzuschieben.“ (Ebd., S. 138f.; Hervorhebung durch mich.)

Spätestens an dieser Stelle wird vom Versuchsleiter also mindestens eine Notlüge eingefordert? Wenn man fordert, valide Ergebnisse zu erzeugen, und das bedeutet, die Umgebung soll möglichst wenig gestört werden. Die Personen sollen sich beinahe so fühlen, als ob sie das Produkt unter normalen Bedingungen benutzen. Wieso stellt man dann nicht an beide Parteien die Anforderung, möglichst ehrlich miteinander umzugehen. Man kann jemandem auch schonend beibringen, dass es offenbar an Punkt X nicht mehr weitergeht, ohne sich etwas aus den Fingern zu saugen.

Ich bin jedenfalls erstaunt, solche Zeilen in einem fachwissenschaftlichen Buch gelesen zu haben. Es irritiert mich.


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