Kommentar: Quantensprung mit Snow Leopard

ml, den 10. Juni 2008
OS X 10.6
OS X 10.6 – Snow Leopard

Ist der Schneeleopard am Ende nur ein Service Pack 2 oder gar nur ein Wartungsupdate? Zumindest gibt es entsprechende Reaktionen auf Apples kommendes Betriebssystem-Update. Doch schaut man genauer hin, dann könnte sich Snow Leopard für Apple zum wichtigsten Betriebssystem-Update seit der Vorstellung von Mac OS X entwickeln. Aus Betriebssystemsicht könnte der Schritt vergleichbar mit dem Umstieg von Mac OS 9 auf Mac OS X ausfallen. Im März 2001 brachte Apple mit Mac OS X ein modernes und auf die Zukunft ausgerichtetes Betriebssystem auf den Markt. Es brach mit vielen Mac OS 9 Technologien.

Quantum Leap

Auf der von Apple eigens für Snow Leopard eingerichteten Seite wandelt Apple Intels Slogan Leap ahead (einen Schritt voraus) in A Quantum Leap ab. Damit ist die Marschrichtung klar. Snow Leopard wird zwar kaum neue Funktionen bringen, aber an der Basis des Systems wird es massive Änderungen geben. Das Software-Design von OS X wird für die Zukunft fit gemacht.

Auf dem Weg dorthin werden dem System kaum neue Funktionen hinzugefügt, dafür aber zahlreiche alte Zöpfe abgeschnitten werden. Die Carbon-Schnittstelle wird genauso verschwinden wie die Unterstützung für 32-Bit-Systeme. Ob Apple die PowerPC-Unterstützung komplett entfernen wird ist noch unklar. Möglich wäre es, denn mit Snow Leopard besteht für Anwender kein zwingender Upgrade-Grund für das System und wenn 2010 oder 2011 der Nachfolger für den Schneeleoparden erscheint, sind die zuletzt verkauften PowerPC-Macs mit 4 bis 5 Jahren auch schon in die Jahre gekommen. Für Softwarehersteller bedeutet das, dass sie spätestens in 3 Jahren auch ihre Programme aufgeräumt haben müssen. So setzt die kommende CS4 von Adobe noch immer auf Carbon statt Cocoa auf. Erst die CS5 soll vollständig auf Cocoa basieren.

Auch QuickTime wird einer Rosskur unterzogen. Die Ursprünge dieser Multimedia-Architektur reichen bis in die 80er Jahre. Inzwischen ist QuickTime in der jetzigen Form das, was man allgemein als einen Dinosaurier bezeichnet: alt und schwerfällig. Für das iPhone hat Apple bereits eine QuickTime-Variante entwickelt, die schlank ist und vor allen Dingen eine effiziente Multimedia-Wiedergabe bietet. Daher wird QuickTime in OS X Snow Leopard durch QuickTime X, welches die iPhone-Version als Grundlage nimmt, ersetzt.

Platz für Innovationen

So sehr sich die für Anwender sichtbaren Änderungen in Grenzen halten werden, so sehr wird es unter der Haube des Systems zur Sache gehen. Apple will die Performance des Systems deutlich verbessern. Dazu wird unter dem Namen „Grand Central“ eine Programmierschnittstelle geschaffen, unter der sich unterschiedliche Prozessoren mit einem einheitlichen Programmmodell nutzen lassen. Der „Grand Central Dispatcher“ wird dynamisch den auszuführenden Code auf unterschiedliche Prozessorkerne oder den Graphikprozessor (GPU) verteilen. Dazu wird Objective-C um sog. Blocks erweitert, die der Programmieren in seinem Code definiert und dem Dispatcher als Hinweis dienen, an welchen Stellen der Code parallelisiert werden kann.

Mit der Open Computing Language (OpenCL) wird Apple einen weiteren Baustein speziell für die Lösung rechenintensiver Aufgaben integrieren. OpenCL ist eine C-ähnliche Sprache und es spielt keine Rolle, ob der Code später auf einem normalen Prozessor oder der GPU ausgeführt wird. Das Programm wird zur Laufzeit einfach für die passende Architektur übersetzt. Begrenzt kommt diese Technik, basierend auf LLVM schon in OS Leopard vor. Dort wird sie für die Berechnung von Core-Image-Effekten genutzt.

Weitere Umbauten im System werden sicher im Laufe der Zeit bekannt werden. Möglicherweise wird Apple ja auch das Dateisystem von HFS auf das moderne und gerade bei kleinen Dateien sehr performante ZFS umstellen. Snow Leopard wäre genau der richtige Zeitpunkt für einen solchen Umstieg.

Fazit

Snow Leopard als reines Wartungsupdate oder Service Pack abzutun wäre weit verfehlt. Wenn eine Firma mehrere hundert Entwickler an ein Projekt setzt, dann geht es um weit mehr als nur inkrementelle Verbesserungen. Bei Snow Leopard geht es um die zukünftige Ausrichtung des Systems und der Plattform.

Dabei konzentriert sich Apple auf den Punkt, der für Anwender am wichtigsten ist: Geschwindigkeit. Wer würde in einem Jahr nicht mit einem Lächeln im Gesicht zum nächsten Apple-Händler spurten und 125 Euro für ein Systemupdate auf den Tisch legen, welches 50 bis 100 Prozent schneller ist, weniger Festplattenspeicher belegt und eine bessere Graphikausgabe bietet?

Mit den Umbauten am System gibt Apple den Entwicklern die Werkzeuge in die Hand, die sie brauchen, um die gewonnene Power auch nutzen zu können. Das Apple dafür nicht jedesmal das Rad neu erfindet, sondern auf offene Standards und, wie bei der Javascript-Engine SquirrelFish, auch auf aktuelle Forschungsergebnisse setzt, zeigt, dass es Apple wirklich ernst mit dem Quantensprung meint.


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