Radio ist der neue Furz: Ein Kommentar zu Appisierung und App Store-Politik
rj, den 25. November 2010Radio-Apps, die nur das Angebot eines Senders aufs iPhone bringen, sollen in Zukunft nicht mehr für den App Store zugelassen werden – der neue Kurs Apples, der nur noch Apps mit „hunderten von Stationen“ zulassen will, zeigt die grenzen des selbstgewählten Trends zur „Appisierung des Internet“ auf. Dass analog zur Furz-App-Flut eine Radio-App-Flut drohe, ist eine Entschuldigung, die allenfalls von Selbstgerechtigkeit und Ratlosigkeit zeugt.
Dreihunderttausend Apps – gerne schmückt sich Apple mit den großen Zahlen. Den Vorwurf, dass es sich größtenteils um Müll handeln könnte, hört man sich hingegen weniger gerne an. Der App-Flut soll nun ein weiterer Riegel vorgeschoben werden – indem die App-Angebote von Radios, die nur einen einzelnen Sender verfügbar machen, schlicht nicht mehr angeboten werden.
Apple wird zitiert mit der Absage, „…single station app are the same as a FART app and represent spam in the iTunes store… [Apple] … will no longer approve any more radio station apps unless there are hundreds of stations on the same app.“
Eine Logik, der man nur schwerlich folgen kann. Seit über zwei Wochen werde der Kurs bereits gefahren, und es macht Spass, sich auszumalen, wie das Prinzip auf andere App-Angebote ausgeweitet werden kann. Denn wozu eine App einer Newssite, wenn stattdessen Universal-Apps für eine Vielzahl von Online-Zeitungen angeboten werden können? Warum hat jede kleine Edelboutique ihre eigene iPad-App-Präsentation, wenn sie auch im Gesamt-Angebot einer Shopping-App ihre Ware an den Kunden bringen könnte? Warum überhaupt diese ganze App-Flut, könnte man nicht 90% der iPhone-Anwendungen problemlos als mobile Webseite umsetzen und im Safari anzeigen?
Ironischerweise kann man das. Noch ironischer: ausgerechnet bei der „Single Radio App“ ist der Nutzen durchaus vorhanden, wenn man die „Single App“ beschallungstechnisch im Hintergrund laufen lassen kann und sich nicht überlegen muss, welches Browserfenster offen bleiben müsste, weil dort gerade ein Radiostream läuft.
Neben aller ironischer Anmerkerei: Apple erntet gerade schlicht, was selbst gesät wurde – die Versuche aller Medien- und Contentanbieter, auch als Icon auf dem iDevice der Wahl präsent zu sein, sind die logische Konsequenz aus der von Apple betriebenen „Appisierung des Internet“, mit der zum einen die eigenen Produkte gepusht, zum anderen die Medienpartner mit möglicherweise lukrativen und im Unterschied zur WWW-Site auch kostenpflichtigen Angeboten ins Boot zu holen. Dass da nicht nur ein Murdoch sein Stück vom Homescreen-Aufmerksamkeitskuchen abschneiden will, sondern auch andere Content-Anbieter statt der Mobile Safari Bookmark eben auch per App präsent sein wollen, war abzusehen. Dass Apps schlechter skalieren als Webangebote/Bookmarks – dito.
Steve Jobs‘ Antwort auf die Beschwerde der Radioapp-Coder war nebenbei so kurz wie selbstgerecht – „Sorry, we’ve made our decision.“ Diese Entscheidung fällte Apple in der Tat.
(Update: Es gebe den „Single Station Ban“ per se nicht, behauptet Yourtechlife. Das Problem sei der Submit zahlreicher, bis auf die Streamquelle identischer Apps, und wenn ein Sender die „eigene App“ originell aufbereitet einreiche, habe sie „gute Chancen“. Besser macht das die Situation keineswegs – es zeugt von einer seltsamen Auffassung von Kreativität, wenn sie als Argument dafür herangezogen wird, dass zahlreiche Anbieter alle das Rad für sich neu erfinden müssen. Und, angemerkt, alle ihre 99 Dollar Jahresgebühr als App Store-Entwickler zahlen dürfen.)