iPhone OS 4.0 Hands-on: Enttäuschung, aber gute Zukunftsaussichten

rj, den 9. April 2010
iPhone OS 4.0
iPhone OS 4.0

Die Entwicklerseite wird an der gestrigen Vorstellung des iPhoneOS 4.0 ihre Freude gehabt haben, bei den Nutzern überwiegt (noch) die Kritik – nur auf die schnelleren iPhone-Modelle kommen die Features, die Jailbreaker schon seit langem nutzen. Mit der neuen Hardwareplattform des iPhone wird Apple trotzdem weiter ihre Spitzenstellung behaupten – die muss nun aber auch kommen.

User Experience vs. Wahlfreiheit: mit diesem Gegensatz ist das Dilemma um das iPhone OS 4.0 bereits umschrieben. Konkret: Multitasking gibt es nur ab 3GS aufwärts – wer mit etwas langsameren Reaktionszeiten kein Problem hat, kann bereits jetzt via Jailbreak sein Classic oder 3G multitasken lassen und entsprechend schlecht nachvollziehen, warum Apple hier die Features derart über die Modellreihen diversifiziert. Insbesondere, weil das Multitasking nicht immer „echtes“ Multitasking ist – Prozesse scheinen in der Regel im Hintergrund eingefroren zu werden, geht es nicht beispielsweise ums Musikstreamen. Bei Spielen mag dieser Freeze sinnvoll sein, ein Background-Safari lädt aber beispielsweise keine Seiten weiter. Ordnerfunktionen, Musikdienste im Hintergrund, Custom Wallpaper (!): es liegt nahe, Apples ironische Antwort auf Windows 95 zu zitieren, welches nun einen Startbutton und einen Mülleimer biete: „Imagine that.“

Ansonsten: sinnvolle Ergänzungen und Erweiterungen. Bluetooth-Keyboards, bessere Security- und Kryptofunktionen für den Businessbereich, Unified Inbox (und hier insbesondere threaded view) werden ihre Nutzer finden. Die Stärkung der Gamekonsole iPhone mit dem Game Center für Online-Matches ist ebenso konsequent und sinnreich. iBooks auf dem iPhone – an sich eine Selbstverständlichkeit, aber eine sehr schöne.

Bei VoIP ist die Vorfreude möglicherweise verfrüht und wird sich zeigen müssen, was die Provider faktisch zulassen werden. Dasselbe gilt für Tethering, welches auf der 4.0-Firmware beim ersten Schnelltest ebenfalls nicht aktiviert werden konnte. Auch hier also tendenziell verhaltene Vorfreude.

Viel Spott in Kommentaren, Blogs und Foren gab es für die ausführliche Ankündigung der iAds – selbst Werbung versuche Apple nun als Innovation zu verkaufen, so der gern gemachte Vorwurf. Hier wird Apple aber durchaus Unrecht getan – denn eine gute, innovative und klickstarke Ad-Finanzierung für kostenlose Apps ist ein sinnvolles Angebot für die Entwickler und eine Anregung zur weiteren Stärkung des App Store als Pfund, mit dem Apple zurecht wuchern kann. Dasselbe gilt für die zahlreichen neuen Schnittstellen, die den Entwicklern geboten werden: einer noch attraktiveren Plattform, noch mächtigeren Apps und sinnvollen Diensten steht nichts im Wege, und man kann gespannt sein, wie die erweiterten Möglichkeiten zu Geolocation, Kamerazugriff, lokalem Push etc. von den App-Codern aufgegriffen und umgesetzt werden.

Der übliche Vorwurf – keine 3rd Party-Apps – durfte bei der anschließenden Diskussion natürlich nicht fehlen. Erstaunlich bis dreist die Begründung Jobs‘, mit der die Alternativstores abgelehnt wurden: auf Android gebe es diese Alternativstores, und das Ergebnis sei Porn für alle, auch Kinder und Jugendliche. In Anbetracht des pornfreien Cydia-Store eine freche Unterstellung einerseits, in Anbetracht des spontan getesteten YouPorn-Streamings auf dem gestern frisch ausgepackten iPad in der Macnotes-Redaktion andererseits auch inhaltlicher Unfug.

So bleibt zusammengenommen das Gefühl, eine recht undramatische Produktpflege mit erwartbaren bzw. überfälligen Features gesehen zu haben. Erst die kommende neue Hardwareplattform wird hier wieder für neue Standards sorgen und für die größeren Überraschungen gut sein. Apple tut gut daran, diese zügig herauszubringen – denn bei allen Stärken des iPhone hat die Konkurrenz auf- und teilweise überholt und sind viele der nun vorgestellten Features weitgehend Smartphone- bzw. Jailbreak-Standard – welche Apple den Usern indes erst im Sommer bereitstellen wird. Eine neue Rolle des Smartphone-Innovators: man muss den Vorsprung der Konkurrenz aufholen. Nur gut, dass Apple die Lösung dieser Aufgabe getrost zugetraut werden kann.


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