Wenn Medienmachern die Zeit ausgehen wird

Alexander Trust, den 2. Februar 2007
Medien
Medien, Bild: CC0

Der Alphons hat in der Blogbar ein Web 2.0-Konzept vorgestellt. Er hat das getan, weil ihn ein Beitrag über die Absenz von Interaktion in Massenmedien bei Vanity Care dazu anregte. Nein, er hat es nicht an den Pranger gestellt, er hat es vorgestellt, weil er es in einen Diskurs einbringen möchte.

Interessant daran ist, dass das Mittel zum Zweck selbst diskursschaffend ist. Es handelt sich um den Metakommentardienst Zpeech.com. Die Diskussion, die unter Alphonsos Beitrag entstand fand wiederum ich interessant. So interessant – und jetzt möge dieses Wort uns eine Weile verschonen -, dass ich an dieser Stelle einen Gedanken etwas ausformulieren möchte.

Meta-Kommunikation

Der Kommentierer “bosch” reagiert auf einen Einwand von “timo” von Vanity Care. Timo bezweifelt, dass ein Meta-Kommentierdienst wie Zpeech zu mehr Interaktion mit “klassischen” Medienmachern führe. Ich kann ihm in diesem Gedanken folgen und beipflichten. Interaktion durch die Nutzer bei Zpeech bedeutet nicht, dass die Macher klassischer Medien sich an den Diensten beteiligen werden. Sie tun es jetzt nicht, und wenn sie versuchen ins Web 2.0 interaktiv einzugreifen, geschieht dies a) stiefmütterlich und b) über Corporate Blogs. Von letzteren hat der Don Alphonso etlichen in den letzten Wochen an der Blogbar die letzte Ehre erwiesen.

Was ist Interaktion?

Interaktion verstehe ich anders. Zpeech bietet eine Metaebene an. Sie dient der Organisation und bündelt, aber sie öffnet damit nur auch wieder ein Fragment für eine neue Zielgruppe. Jene nämlich, die auf dieser Metaebene diskutieren möchten.

Zuletzt gab es im “nachtstudio” des ZDF eine Diskussion, an der sich der Medienwissenschaftler Norbert Bolz beteiligte. Man sprach u. a. davon, dass das Fernsehen, trotz seiner Angebotsfülle nicht die habituellen Bedingungen für den Umgang mit Medien rapide verändere.

Vorsicht vorm Social Web

Diejenigen, die vom Social Web als einem Hype schreiben und sprechen, und von unheimlich viel Interaktivität, tun dies in meinen Augen vorschnell. Es wird sich noch zeigen, wie schnell wir uns vom passiven Konsumenten zum aktiven „Interaktionisten“ wandeln, wenn überhaupt. Produktion ist immer einen Tick anstrengender als „Konsumption“. Wer nicht motiviert ist, wird nicht partizipieren.

Bislang bewegen wir uns in den interaktiven Möglichkeiten im Internet auf einer Ebene, die mehr oder weniger komplett in den Bereich der Freizeit abgebildet wird. Mag sein, dass es Börsengurus gibt, oder Web-Journalisten, und einige andere mehr, die entsprechend sehr interaktiv im Netz unterwegs sein müssen oder wollen, weil es zu ihrem Beruf dazu gehört.

Interaktiver Umgang mit Medien

Wenn wir es schaffen, uns an einen neuen kulturellen “interaktiven” Umgang mit Medien zu gewöhnen, wird sich sukzessive ein radikal anderes Verstehen von Welt ergeben. Ich bin jedoch skeptisch, dass dieser Punkt überhaupt erreicht werden wird, geschweige denn überhaupt erreicht werden sollte. Es liegt im eigenen Interesse – noch nicht einmal bewusst – derjenigen, die Interaktionsmöglichkeiten anbieten, dass sie die Kontrolle darüber behalten.

Auch das Internet ist nicht grenzenlos, wie ich an manchen Stellen bereits hervorhob und in einer meiner letzten Seminararbeiten ein wenig ausführen durfte. Das ist ein Thema, das unheimlich viele Anknüpfungspunkte bietet, die alle nur aus der Diskussion heraus erwachsen. Machtfragen, Themen von Sozialisation, Psychologie, Anthropologie, etc. lassen sich diskutieren und viele andere mehr.

Doch keine Meta-Kommunikation?

Überall ließen sich Indizien finden, die helfen, die These zu stützen, dass derlei Meta-Kommentardienst nicht zu mehr Interaktivität führen wird. Die bloße Möglichkeit der Interaktion bedeutet eben noch nicht die Nutzung derselben.

Ich habe das in der Vergangenheit am Beispiel von PixelQuelle aber auch YouTube versucht darzustellen, und sagte damals, wir seien der natürlichste Feind des Web 2.0. Sind wird auch, ich bleibe dabei. Selbst wenn wir uns die schiere Quantität bei StudiVZ angucken, werden wir finden, wie wenig Partizipation und Interaktion dort eigentlich geschieht. Gruppen mit 200 oder 300 Studierenden, aber auch welche mit 3000, sind bei angeblich 1,5 Millionen Nutzern ein Indiz dafür, dass Interaktion noch kein breites Phänomen ist. Man sollte indes auch die Frage erörtern müssen, ob Interaktion jemals global aufgefasst werden kann. Ein Dienst wie Zpeech alleine wird nicht ausreichen, das zu verändern.

Interaktion kein Zwang

Zurück zu der Diskussion in der Blogbar. “bosch” schreibt: “Bezweifelt werden darf, ob der klassische Journalist das überhaupt will.” Ersetzen wird die Bezeichnung Journalist durch Medienmacher, und wollen durch können. Dann passt es in meinen Augen. Blogger sind auch Medienmacher, nur eben in einer anderen Umgebung. Don Alphonso macht sich stark für die Institutionalisierung und Anerkennung der Blogs als Medium, in dem so etwas wie Arbeit betrieben wird. Es ist gut, dass Leute wie er sich dafür einsetzen.

Aber für mich gehört es zur Notwendigkeit als Medienmacher, sich mit seinem Medium zu beschäftigen. Wenn Blogger die Möglichkeit bekommen, Vollzeitblogger zu werden, und dafür entsprechend entlohnt zu werden, wird es noch eine neue Qualität des Bloggens geben, einfach dadurch, dass die Notwendigkeit wegfällt, Zeit in anderen Dinge zu investieren. Das ist jedoch bei allen Medien der Fall. Es besteht nicht die Möglichkeit ein Alleskönner zu sein, auch dann nicht, wenn das Web 2.0 + x derzeit den Aufstand probt.

Spezialisten sind keine Alleskönner

Moblogger, Podcasting und Vidcasting erfordern vom “Macher” eine andere Kompetenz als vom herkömmlichen Blogger. Aber eine Fernsehkamera, ein Fotoapparat und selbst die Kombination von Füllhalter und Papier erfordert etwas von demjenigen, der die Mittel einsetzt.

Übung macht den Meister, heißt es. Egal in welchem Metier. Wer ein Leistungssportler werden will und mit der Weltspitze mithalten mag, kann schlecht Stunden in Hörsälen verbringen und versuchen Diplom-Mathematiker sein zu wollen. Manche Dinge erfordern eben einen Aufwand, und je mehr Aufwand man betreiben kann, desto fundierter werden die Produkte oder Dienstleistungen, die daraus entstehen.

Blogger haben also derzeit das Problem, dass sie ein Leben neben dem Bloggen besitzen, einen Beruf, dem sie nachgehen. Wenn Bloggen allerdings bedeuten muss, möglichst fundiert und gleichzeitig hoch frequent Inhalte anzubieten, damit die Schar an Konsumenten in ihrem Habitus des Konsums befriedigt werden können, dann ist das keine Win-Win-Situation.

Aufwand

Das Beispiel der Blogger allerdings zeigt, dass es anderen Medienmachern mindestens genauso geht. Wollen Journalisten ihren Job ordentlich machen, müssen sie genug Zeit aufwenden. Diese Zeit fehlt ihnen dann, um in der Blogosphäre noch möglichst interaktiv sein zu können.

Manche Leute sind in ihrer Freizeit manchmal, ein wenig interaktiv. Nur diese Interaktion wird von ihnen, wird von uns allen nicht nur im Web verlangt, sondern auch im richtigen Leben. Ein Journalist, vielleicht Redaktionsleiter, vielleicht auch nicht – einerlei! – ein Familienvater, Teilnehmer im Sportverein, Mitglied einer Partei… – die Liste der Rollen, die ein Individuum in der Gesellschaft ausfüllt, ließe sich beliebig verlängern. Das gesellschaftliche Rollenspiel bedarf des zeitlichen Aufwands.

Bezahlte Blogger

Wenn sich Bloggen institutionalisiert, wird es bezahlte Blogger geben, die durchaus Diskurse werden mitbestimmen können. Einige schaffen das in Teilen ja jetzt schon. Das wird in meinen Augen nichts daran ändern, dass der Interaktivität Grenzen gesetzt werden.

Nur zur Wiederholung, zwei Gründe habe ich dafür angegeben. Der eine ist die historische Konstituiertheit unseres Umgangs mit Medien. Wir haben gelernt zu konsumieren und nicht zu produzieren. Zusätzlich zu den erschwerten Umgewöhnungsbedingungen tritt dann der Aspekt der Ressourcen, die jedem einzelnen zur Verfügung stehen.

Wie die Leute ihr Leben gestalten, sei ihnen selbst überlassen. Ob klassische Medienmacher viel in Urlaub fahren können, vielleicht mehr als andere, oder öfter mal die Beine hochlegen oder die Nase in ein Buch stecken – was auch immer sie tun, lässt ihre Ressourcen schrumpfen, die eventuell zum interaktiven Umgang mit ihren Konsumenten bleiben könnten. Stars, die jeden Tag tausende Leserbriefe kriegen, können sie nicht alle selbst beantworten, sonst könnten sie ihrer Schauspielerei oder ihrem Musikmachen nicht mehr den erforderlichen Aufwand widmen. Weitere Analogien ließen sich in anderen Feldern aufzeigen.

Kritik abmildern

Deshalb finde ich die indirekt formulierte Kritik im Kommentar von “bosch” zu harsch, dass Medienmacher eventuell keine Interaktion haben wollten. Klar mangelt es den Internetangeboten “klassischer” Medienangebote an den interaktiven Elementen von Blogs. Aber das unterscheidet Blogs auch von anderen Medienangeboten. Der Don selbst sieht es so und sieht in den Gesprächen, im Diskurscharakter die Zukunft. Ich sehe darin einen “Teil” der Zukunft. Warum? Weil es nicht für jeden möglich sein wird, selbst wenn er technische Kenntnisse mitbringt, über genügend Geld und Bildung verfügt, auch notwendig noch die Zeit dafür erübrigen zu können.

Das Web ist ein Angebot, eine Welt für sich. Und diese Welt konkurriert mit den anderen Welten, die uns zur Verfügung stehen, um in irgendeiner Form Kommunikation zu üben. Wir können das schnell überprüfen, indem wir mit anderen über Dinge sprechen, die im Internet vor sich gehen. Die wenigsten werden darüber Bescheid wissen.

Selbst wenn alle Medienmacher auf den Internetzug aufspringen, bedeutet das nicht, dass sie alle darin interaktiv sein werden. Die Ausführung (von “bosch”), Medienmacher wollten Interaktivität nicht, würde ich so demnach nicht unterstützen. Und auch dem Unterton, der in dem Vanity Care-Artikel entsteht, dadurch dass man den Ausführungen von Norbert Bolz im Nachtstudio beipflichtet, möchte ich mich nicht anschließen. Aus demselben Grund, da ich denke, dass die Diskurse im Web eben nur ein Teil sein können. Ich bin nämlich der Meinung, dass das Internet einen neuen, anderen Begriff des Massenmediums “möglich” macht.

Zukunft ist: die nächsten 50 Jahre

Ein letzter Gedanke noch: Wenn der Don in seinem Beitrag von Zukunft spricht, dann würde ich diese als besonders klar umrissen ansehen. In meinen Augen allerhöchstens die nächsten 50 Jahre. Unsere Zeit geht immer schneller. Und Gespräche im Web mögen en vogue werden, ich bin sogar sehr dafür, weil ich derzeit zu wenig Diskurse in der Gesellschaft erlebe.

Sollte es aber wirklich so weit kommen, dass darin ein Mal der Mainstream bestehen würde, wäre das der Zeitpunkt, da man von den medial vermittelten Gesprächen in Kommentaren getrost auch wieder auf Face-to-Face-Kommunikationssituationen zurückgreifen kann. Und wenn dies doch medial vermittelt geschehen muss, dann ebensogut in Form von Skype-Konferenzen (Ton/Bild) oder sonstigen Formen medial vermittelter Kommunikation, in der allerdings der Gegenüber viel stärker noch wahrgenommen werden kann.

Jedes ist ein Angebot und so hat jedes dann auch seinen Zweck. Deshalb wird es nie ein universales Medium geben. Und wenngleich manche Medien in der Geschichte verschütt gegangen sind, so sind die Medienfunktionen, die ihnen zugrunde lagen, doch nie verschütt gegangen. Da gibt es diverse Grundkategorien, auf die selbst die neusten Medien und auch die zukünftigen in ihrer Art und Weise zurückgreifen werden.

Partizipation ist keine Zustimmung

Abschließend dann die Rückbesinnung zum Titel: Es ist für mich nur natürlich, wenn Medienmacher nicht an allem gleich teilhaben können, weil ihnen irgendwann die Zeit ausgeht. Aus unserer Sicht, die wir uns in der Blogosphäre bewegen, müssen die Dinge sich nicht notgedrungen als abwiegelnd, konservativ, oder sonst wie darstellen.

Wir könnten, zumindest was die Teilhabe der klassischen Medienmacher an der Interaktion anbelangt, für sie gelten lassen, was für uns auch gelten sollte, dass wir eben alle nur Menschen sind. Was aber das klassische Medium angeht, so ist es durchaus gut und nützlich, dass es eben Unterschiede gibt, an denen sich zeigt, was ein Blog sei und was eben nur ein redaktionell betreuter Internetauftritt z. B. einer Zeitung. Beide haben nicht dieselbe Funktion, und eben auch nicht denselben Anspruch. Gleichwie sollten beide Seiten mit mehr Verständnis aber auch Anerkennung für die andere Seite reagieren.


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