Spec-Ops: Rütli und Neukölln im Fadenkreuz der Politik

Alexander Trust, den 2. April 2006
Rütli mit Urnersee
Rütli mit Urnersee

Rütli am Pranger.

Der Berliner Ortsteil Neukölln ist derzeit in aller Munde. An einer Hauptschule namens Rütli machen Kinder von sich Reden, die man zu Arbeitslosen auf Halde sozialisiert. Richtig ist, der Politik ein Versagen vorzuwerfen, wie dies in den letzten Tagen vermehrt geschieht. Falsch allerdings, es lediglich einem rot-roten Berliner Senat andichten zu wollen, wie der Berliner CDU-Politiker Friedbert Pflüger dies in den Medien gerne vorträgt.

Rütli. Wer war eigentlich Rütli? Und schon landet man in einer Sackgasse. Die Frage muss lauten: Was war eigentlich Rütli. Etymologisch und als Bezeichnung für eine „kleine Rodung“ hat sich das Wort vor allem in der Schweiz verdient gemacht. In Berlin wurde eine Straße nach diesem Fleckchen historisch wertvoller Erde benannt. Anschließend bekam eine Schule ebenfalls dieses Etikett verliehen.

Wider den Terror?

Pflüger fordert eine Task Force Schule und eine Zunahme der Polizeikontrollen. Das allerdings ist eine Meinung aus dem konservativen Lager. Sie wirkt wie eine Interpretation des neoliberalen Lagers der Republik. Es ist immer einfach die Schuld anderen Leuten in die Schuhe zu schieben. Gewalt und Kriminalität sind mit Sicherheit nicht zu beschönigen, allerdings haben sie eine Wurzel.

Es ist eher davon auszugehen, dass nicht nur in Berlin Neukölln, sondern überall in der Republik Gewalt an Schulen dadurch entsteht, weil in den Kids zu viel kriminelle Energie steckt.

Integration

Richtig ist der Ruf Pflügers nach mehr Integration. Die allerdings hätten die Deutschen bereits in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs betreiben können, unter Adenauer. Die Emigranten Jahrzehnte ihrem Schicksal zu überlassen und heute, knapp 50 Jahre später, nach Einbürgerungstests zu krähen, ist fahrlässig.

Not macht erfinderisch, heißt es. Es gibt genug Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen zwei Größen aufzeigen. Diejenigen, die schon etwas haben, auf dem sie aufbauen können, werden schwer nachvollziehen können, dass ihr eigenes Streben nach Mehr der Grund sein soll. Der Grund dafür, dass das, was als „leichte Kriminalität“ oder „Hang zur Gewalt“ charakterisiert wird, durchaus in der Folge von Armut und Unterdrückung entstehen. Eine Gesellschaft kann eine Brutstätte für Kriminalität werden, wenn in ihr aktuell knapp fünf Millionen Arbeitslose hausen, und noch weitaus mehr Menschen nur in ihr leben, um zu arbeiten.

In einem Artikel fordert Pflüger „unter Umständen“ noch stärkere Kontrollen. Maßnahmen, die in der Terrorbekämpfung zum Einsatz kommen, könnte er sich auch für die Eindämmung der eskalierenden Gewalt an der Rütli-Schule vorstellen. Letzteres zeugt von der eingeengten Perspektive eines Mannes, der in der oberen Mittelschicht zuhause ist.

Unwillige Zuwanderer

Nicht viel anders ist die Aussage von CDU-Innenexperte Bosbach zu bewerten. Bosbach ist, neben seiner Funktion im Bundestag, als Lokalpolitiker im schönen Odenthal zuhause. Ein Ort, in dem statistisch die meisten Millionäre pro Kopf in NRW hausen.

Bosbach sprach davon, dass von Zuwanderern zu wenig Bereitschaft zur Eingliederung gezeigt würde. Tatsache ist, dass es wenig mit der Nationalität zu tun hat, wenn Menschen bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legen. Es gibt keinen Generalverdacht à la weiße Christen sind friedlich, dunkle Moslems böse. Das ist eine Legende, die nicht ein Mal ins Märchenland gehört.

Fakt ist allerdings, dass unter den jüngeren Kohorten der Zuwanderer die größte Arbeitslosigkeit in Deutschland herrscht. Der gemeine (=normale, einfache) Deutsche lebt davon, dass er Leute im eigenen Land hat, die Drecksarbeit leisten. Er schüttelt aber mit dem Kopf, wenn jene unzufrieden sind, dass sie nur geduldet werden, aber keine Chance auf ein schönes Leben haben sollen.

Gemachte Nester

Ortswechsel: In der Stadt, in der ich zur Schule ging, haben letztes Jahr etliche Zuwanderer-Kinder ihr Abitur gemacht und Auszeichnungen dafür erhalten. Das allerdings sind in den weit meisten Fällen Kinder gewesen, die aus Familien stammten, denen es finanziell gut geht, und die lange hart dafür gearbeitet haben. Dort nämlich, wo sich eine gewisse Unabhängigkeit von täglichen Gepflogenheiten einstellt, besteht keine Notwendigkeit sich Gedanken machen zu müssen, wie man in dieser Gesellschaft die Ellbogen ausfahren muss, um zu überleben. Dort setzen sich nämlich Generationen von Kindern aus den mittleren und oberen Schichten der Gesellschaft quasi in gemachte Nester. Sie können dann dabei zusehen, wie ihr Lebenslauf zum Selbstläufer wird, während es für Zöglinge aus den Unter- und Arbeiterschichten oftmals heißt: Sackgasse, Ende im Gelände.

Die PISA-Studie oder weitere Untersuchungen der OECD haben schon vor Jahren gezeigt, dass nur ein Bruchteil derer eine Chance auf höhere Bildung erhalten. Und das eben nicht, wie viele vorschnell denken mögen, wegen Unwilligkeit und keiner Leistungsbereitschaft. Das deutsche Schulsystem funktioniert nicht nach dem Leistungsprinzip. Es ist für diejenigen, die von unten kommen, weitaus schwieriger, nach oben zu gelangen. In euphemistischen Statistiken erreicht nur jeder 8te aus der Unterschicht die schwelle zur Hochschule. Zum Jahrhundertwechsel stammten gerade mal 5% der Studierenden in der Republik aus der Arbeitsschicht.

Natürlich ist dies an dieser Stelle zu kurz gekommen. Ein kurzes Plädoyer ist jedoch besser als gar keines. Vielleicht wird mir an späterer Stelle die Gelegenheit gegeben, mich ausführlicher mit diesem Thema auseinander zu setzen.


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