Jobcenter (in Aachen) und Co: Wenn Verzweiflung Wut sät

Alexander Trust, den 3. Januar 2015
Rabe auf Dachsims in Aachen
Rabe auf Dachsims in Aachen, Foto: Alexander Trust

Im Spiegel veröffentlichte Journalistin Franziska Reif nun ein Interview mit einer Mitarbeiterin eines Jobcenters, die ein Beispiel schildert, das ich selbst schon in Aachen erlebt habe. Drum kann ich schlussfolgern, dass die im Interview geschilderte Verzweiflung der Mitarbeiterin letztlich Wut dort hinterlässt, wo eigentlich Hoffnung keimen sollte.

Im Karriere-Spiegel führt Franziska Reif ein Interview mit einer Mitarbeiterin eines Jobcenters. Damit niemand weiß, um wen es sich handelt, wird der Name zufällig Haase genannt. In Aachen gibt es beim Amt einen ganz anderen Hallodri, der die Verzweiflung der Personen, die ihn aufsuchen, auf krude Weise ausnutzt und manipuliert, wie ich vor 6, 7 Jahren selbst feststellen durfte.

Institutionen müssen sich abschotten

Zuletzt hat man Politiker häufig reden gehört, dass in Ämtern zu wenig „gemenschelt“ wird und Entscheidungen nicht von Fall zu Fall getroffen würden. Täte man das, würde man inkonsequent dastehen und das System von innen heraus sabotieren. Damit ich nicht irgendeinen dahergelaufenen Mitarbeiter einer Institution in Aachen anschwärze, möchte ich gerne zuvor sagen, dass ich weiß, wovon ich spreche.

Neben meinem Studium habe ich mehrere Jahre in einer Psychosomatischen Klinik für Drogen- und Alkohol-Abhängige gejobbt. Ich musste dort auf die harte Tour lernen, dass man als Mitarbeiter kein Individuum sein kann, wenn man die Arbeit gewissenhaft machen möchte. Denn meine Individualität war es, die eines Tages in einer Supervision diskutiert wurde. Ich packte Wäschesäcke auf meinen Rundgängen abends zusammen und trug sie an Ort und Stelle oder ich teilte am Wochenende Klopapier aus, weil ich wusste, wo es zu finden war und den Schlüssel für die Räumlichkeiten hatte. Diese und weitere Dinge, die nur Ergebnis meines Pflichtbewusstseins waren, führten dazu, dass andere Mitarbeiter, die das nicht taten, von den Patienten mit mir und meiner Person konfrontiert wurden. Deshalb wurde in der Diskussion in der Supervision thematisiert, dass wir entweder alle den gleichen Stiefel spielen, oder aber die Position der Einrichtung und der übrigen Mitarbeiter schwächten. Meine Wahrheit damals war: Weil die anderen zu faul waren, musste ich aufhören, mir Mühe zu geben.

Wichtig ist tatsächlich, dass man eine gemeinsam Linie fährt, wenn man in einer Dienstleistung beschäftigt ist. Ganz gleich ob in einer Hochschulbibliothek, einem Krankenhaus oder einem Supermarkt. Kunden ziehen sich auf einzelne Erlebnisse zurück und unterlaufen damit womöglich Zielsetzungen, wenn auch nur ein Mitarbeiter von ebenjenen abweicht. Natürlich kann ich für mich feststellen, dass mein Verhalten in der Psychosomatischen Klinik nicht grundsätzlich verkehrt war, sondern nur die Mehrheitsverhältnisse nicht dazu reichten, die Arbeitseinstellung der übrigen Mitarbeiter anzupassen.

Aachens Jobcenter

Kommen wir zurück zum Interview im Spiegel. Dort schildert die Mitarbeiterin, sie sei durch den Wust an Bürokratie in ihrem Engagement gelähmt. Sie gibt zu, Menschen in Weiterbildungsmaßnahmen zu stecken, obwohl sie weiß, dass diese nichts brächten. Doch Frau „Haase“ gibt weiterhin zu, dass sie Kollegen hat, bei denen sie nicht Kundin sein möchte.

Einen dieser Kollegen gibt es im Jobcenter in Aachen. Vor Jahren war meine berufliche und Lebenssituation eine andere. Ich war frisch mit meiner Lebensgefährtin zusammengezogen, hatte meine Selbständigkeit gerade erst begonnen, neben dem Studium. Sie hatte herausgefunden, dass ihr gewisse Zuschüsse zustehen, für eine Zeit der Überbrückung. Doch die Bürokratie wollte es, dass dadurch, dass wir zusammen wohnten, man uns als „Bedarfsgemeinschaft“ einstufte. Ich musste meine Finanzen offenlegen, die damals natürlich wegen meines andauernden Studiums nicht denen des Gegenüber entsprachen.

Als lässiger Mensch, der sowieso im Beruf sitzen muss, stehe ich gerne, wenn ich auswärts irgendwo warten muss. So auch an diesem Vormittag im Jobcenter in Aachen. Ich musste mit, und lehnte an eine Wand. An mir vorbei ging besagter Mitarbeiter, von dem ich natürlich nicht wusste, dass ich ihm gleich vor seinem Schreibtisch gegenübersitzen würde. Er frug mich, ob er mir helfen könne. Ich antwortete flappsig mit Nein.

iTunes ist mein Hobby aber nicht dein Traum

Dann wurde meine Lebensgefährtin in sein Büro gerufen und ich gleich mit. Also konnte er mir indirekt wohl doch helfen. Natürlich wurde meine Lebensgefährtin interviewt und ich musste ebenfalls Fragen beantworten. Als ich über meine Tätigkeit bei Online-Medien berichtete und meine langjährige Computer-Erfahrung wurde der Mitarbeiter des Jobcenters hellhörig. Er frug mich aus über iTunes. Er habe ein Problem mit seinem iPod und iTunes auf seinem Windows-Computer daheim, wollte wissen, wie er es beheben könnte. Ferndiagnosen sind schwierig und noch dazu waren wir ja nicht wegen seines iTunes dort.

Weil ich ihm aber nicht Auskunft gab über sein Hobby, das er in dieser Situation mit seinem Beruf verwechselte, entwickelte sich das Gespräch in eine gänzlich andere Richtung. Als ich wiederholte, dass ich nicht Antragsteller sei, sondern meine Lebensgefährtin, die zu dem Zeitpunkt ebenfalls noch studierte, wies er mich auf die bereits erwähnte „Bedarfsgemeinschaft“ hin, die in anderen Situationen im Leben übrigens keine besonders große Rolle spielt. Ob er mit seiner Frage nach seinem iTunes-Hobby gerne mit mir eine Bedarfsgemeinschaft eingegangen wäre, weiß ich nicht.

Als ich eine Antwort unterließ, weil ich nicht fand, dass wir im Jobcenter waren, um anderer Leute Computer-Probleme zu lösen, wies er mich dann krude darauf hin, dass das Jobcenter ja nicht dazu da sei „jemandes Träume zu finanzieren“. Gemeint waren meine Tätigkeiten als Freiberufler, mit denen ich noch heute, Jahre später, mein täglich Brot verdiene.

Das Ende vom Lied: Wir sollten eine Art Vertrag unterschreiben, bei dem ich mich dazu verpflichten sollte meinen beruflichen Werdegang und meine Finanzen vom Arbeitsamt überprüfen zu lassen. Wäre meine Lebensgefährtin längere Zeit auf die Hilfeleistung angewiesen gewesen, hätte man mir Jobs angeboten und damit meine Selbständigkeit konterkariert. Das war der Zeitpunkt, an dem ich sagte: Komm lass uns gehen. Verdutzt schaute uns der Jobcenter-Mitarbeiter aus Aachen an, der noch immer mehr mit sich selbst und seinem iTunes-Problem zu kämpfen hatte. Wir verließen sein Büro – er sah uns nie wieder. Wir haben es auch ohne seine Hilfe geschafft.

Mir ist schleierhaft, warum jemand irgendwann Pension kassiert dafür, dass er versucht die Notsituation von Hilfesuchenden auszunutzen und Menschen schikaniert. Schon damals habe ich gedacht, was die Mitarbeiterin des Jobcenters nun im Interview mit dem Spiegel aussprach: Das war ein Jemand, bei dem ich nicht Kunde sein mag. Schwierig wird es gerade dann, wenn man sich überlegt, dass wir beide als studierte Menschen der deutschen Sprache mächtig waren und in der Diskussion stets auf Augenhöhe sein konnten. Denn ich kann mir vorstellen, welche Widrigkeiten und Garstigkeiten Leute erleben, die nicht in der Lage sind, sich sprachlich gegen diese(n) arroganten Beamten (in Aachens Jobcenter) zur Wehr zu setzen.


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