Kommentar: Wenn Online-Journalismus kein Journalismus mehr ist

Alexander Trust, den 20. September 2014
Kommentar
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Gestern war es so weit, Apple hat das iPhone 6 in Deutschland in den Handel gebracht. Der Online-Journalismus der Mainstream-Medien hat sich allerdings nicht allzu sehr mit Ruhm bekleckert. Von Ausschreitungen in Dresden war die Rede. Doch viel tiefer fault die online-journalistische Wurzel, wenn Redakteure bei Nachrichtensendern nicht mehr wissen, was die journalistische Form eigentlich ausmacht.

In den 2000ern, als das StudiVZ noch „in“ war und Blogs von Services wie Technorati vermessen werden sollten, gab es ebenfalls ideologische Grabenkämpfe zwischen Journalisten, die ihren Berufsstand durch Blogger gefährdet sahen. Seinerzeit wurde lang und breit vorgekaut, warum der Journalismus richtig und wichtig ist. 2014 und im Prinzip schon viele Jahre vorher, kann man diese Behauptungen nicht mehr in jedem Fall mit Tatsachen belegen.

Im Deutsch-Unterricht in der Schule kommen einige einmal an den Punkt, an dem sie unterschiedliche Text-Gattungen gezeigt bekommen und der Übung halber selbst anfertigen müssen. Neben Gedichten oder Geschichten werden vor allem Text-Formen aus dem Journalismus thematisiert. Die Nachricht, der Kommentar, die Kolumne, die Glosse, usf. Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Journalismus inhaltlich zu wünschen übrig lässt, weil es uns der Spiegelfechter oder der Bildblog lang und breit immer und immer wieder erklären.

Online-Journalisten ohne Form

Dass sich die Damen und Herren Journalisten aber sogar ihrer sprachlichen Form selbst berauben, hätte wohl vor 10 Jahren niemand gedacht. Diejenigen, die Mitgliedsbeiträge bezahlen, um sich einen Journalisten-Ausweis ausstellen zu lassen und rufen zu können, hört her, ich bin wichtig, tun sich und ihrem Berufsstand keinen Gefallen. „Online“ stellt das nur deutlich besser zur Schau. Jüngstes Beispiel in dieser fortwährenden Entwicklung ist ein Beitrag von n-tv zum Verkaufsstart des iPhone 6 in Dresden – sollte man meinen.

Eine Nachricht, ist eine Nachricht, ist eine Nachricht: In deren Einleitung werden die wichtigsten W-Fragen kurz abgehandelt, nachdem man mit der Überschrift die ultimative Verknappung des Inhalts bereits fabriziert hat. Erst danach wiederholt man die verkürzten Aussagen aus der Einleitung, und zwar in der Art, dass man vom Wichtigen zum Unwichtigen geht. Nun titelt n-tv: „Polizei muss in Dresden eingreifen: Verkauf des iPhone 6 beginnt„. Dass diese Überschrift inhaltlich fragwürdig ist, weil selbst Video-Dokumente zeigen, dass die Polizei kein „Chaos“ in Ordnung, und keine „Tumulte“ befrieden musste, sondern lediglich den Eingang zum Kaufhaus freihielt, ist nichts Neues.

„Neu“ ist jedoch, dass Überschrift, Einleitung und Inhalt der Nachricht im Beispiel von n-tv absolut nicht zueinander passen. Anhand der zitierten Überschrift darf und muss man erwarten, dass n-tv einen Artikel mit regionalem Bezug über die Situation am Apple Store in Dresden präsentiert. Die Einleitung allerdings spricht vom iPhone-6-Start „rund um den Globus“, in den nächsten Absätzen wird dann Tokio erwähnt. Im dritten Absatz wird das Tokio-Thema mit dem Verweis auf die „weltberühmte Luxus-Einkaufsmeile Ginza“ konkretisiert. Erst der vierte Absatz (inkl. Einleitung) geht auf Dresden ein, und zwar in nur vier Sätzen. Davor und danach ist von Dresden nicht mehr die Rede. Dafür wird zum Beispiel von Apple Pay berichtet. Also hat der Verfasser oder die Verfasserin alles falsch gemacht, was während seiner/ihrer Ausbildung eingebläut hätte werden sollen.

SEO ist auch Journalismus

Glücklicherweise gibt es in Deutschland einen Streit zwischen einigen Verlegern und Google, wegen des Leistungsschutzrechts, der Beispiele wie die von n-tv ad absurdum führt. Die Verleger heulen rum, dass sie zu wenig Besucher über die Suchmaschine erhalten. Dass aber die journalistischen Tugenden einen Einfluss auf den Besucherfluss von Google haben, wird von den Damen und Herren Journalisten ignoriert, weil nur die wenigsten von ihnen ein dezidiertes Verständnis mitbringen und sich stattdessen in der Rolle wohlfühlen, überfordert zu sein von dem, was da zwischen SEO und SEM auf sie einprasselt.

Wenn ich dem n-tv-Redakteur den Online-Journalismus erklären müsste, würde ich ihm raten, dass er sich auf die Form zurückziehen soll, die er eigentlich gelernt haben sollte. Denn tatsächlich ist Alles, was im Web über inhaltliche Qualität im Kontext von Suchmaschinenoptimierung (SEO) geschrieben wird, dazu angetan genau darauf hinaus zu laufen. Wer zunächst in Überschrift und Einleitung das Thema beschreibt und dann im Fließtext weiter ausführt, der wird bei Google dafür belohnt. Streng genommen haben SEOs in den letzten Jahren immer wieder vorgekaut, was Online-Journalisten als Handwerkszeug benötigen. Selbst Zwischenüberschriften für den Lesefluss, die bei SEOs wegen der zusätzlichen H2-Überschrift mit Keywords angemerkt wurden, sind im Journalismus keine Unbekannten.

Viele Blogger, das ist richtig, haben sich an diese journalistischen Formen nicht gehalten, sondern roh ihre Meinung artikuliert, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das fand ein Teil der Leser toll, weshalb Blogger an Zulauf gewannen. Tatsächlich gibt es auch im Bereich der Tech-Blogger viele, die über Stammleser verfügen und nicht selten gar nicht so viele Benutzer über Google News oder die allgemeine Google-Suche auf ihre Seite bringen. Das ist denen aber schnuppe, im Gegensatz zu den Verlagen, die auf das Leistungsschutzrecht pochen. Ihre Besucher bekommen sie über Social-Media-Kanäle und Mundpropaganda.

Dass Online-Journalismus sich beschwert, zu wenig Besucher über Suchmaschinen zu erlangen, wenn er inhaltliche Qualität vermissen lässt und nicht einmal die journalistische Form wahrt, ist ein Zeichen dafür, dass Ignoranz nicht an Bildungsgrenzen halt macht.


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