IPTS-Studie: Schadet Musik-Piraterie dem digitalen Musikabsatz nicht?

Florian Schmitt, den 19. März 2013
Note mit Piratenflagge
Note mit Piratenflagge (via Mondogonzo)

Das zum Wissenschaftsdienst der EU gehörende “Institute for Prospect Technological Studies” (IPTS) kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass Online-Musik-Piraterie dem digitalen Verkauf von Musik nicht schadet.

Dafür wurde das Surfverhalten von mehr als 16.000 Personen aus Europa ausgewertet, und zwar in Form von Clickstream-Daten. Clickstreams sind (Video-)Aufzeichnungen des Surfverhaltens inklusive Scrollen und Klicken. Meist wird der Bildschirminhalt einfach mit entsprechenden Tools aufgenommen.

Geringe, positive Befunde

Luis Aguiar und Bertin Martins stellen die Ergebnisse ihrer Auswertung gegen die sonst oft von Vertretern der Musikindustrie präsentierten “Fakten”. Allerdings betonen sie, dass die gefundenen Implikationen “marginal” sind, sogar beinahe gegen Null tendieren.
10 Prozent mehr Klicks auf illegale Downloadseiten für Musik führten zu 0,2% mehr Klicks auf legale Kaufseiten.
Anhand von Stichproben stellten die Forscher fest, dass der Großteil der Befragten die “geklaute” Musik gar nicht erst legal gekauft hätte, selbst wenn es keine andere Möglichkeit geben würde.

Abo nicht vs. Kauf

Eine Kannibalisierung der digitalen Musikverkäufe durch Streaming-Dienste (wie Spotify) sei ebenfalls nicht feststellbar. Im Gegenteil: 10 Prozent mehr Klicks auf solche Streaming-Portale führten zu 0,7 Prozent mehr Zugriffe auf legale Online-Musikshops.
Die Forscher wiesen aber darauf hin, dass externe Faktoren die festgestellten Ergebnisse beeinträchtigen könnten. Man beschränkt sich in dem Arbeitspapier zur Untersuchung (PDF) auf die Analyse des digitalen Musikabsatzes. Derjenige physischer Datenträger wurde nicht berücksichtigt.
In diesem Bereich wird oft argumentiert, dass mehr Raubkopien zu weniger Umsätzen beim CD-Verkauf führten. Der Wandel vom CD-Player hin zum MP3-Player wird dabei oft unterschlagen. Entsprechend interessant sind Hinweise darauf, dass der Umsatz der Musikindustrie im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein Wachstum aufwies, Dank des Verkaufs digitaler Musik.
Man wolle keine politischen Empfehlungen aus dieser Untersuchung ableiten, betonten die Herausgeber, aber die Musik-Industrie solle das Problem der Online-Piraterie nicht überbewerten.

Methodik und Fehlerquellen

Ergänzend zur oben angebrachten Erläuterung dessen, was Clickstream-Daten sind, erfolgt der Hinweis, dass die Studie versucht möglichst viel Wert auf akademische Standards zu legen. Die Daten allerdings haben die Wissenschaftlicher nicht selbst erhoben, sondern ihnen wurde Zugriff gewährt auf 25.000 Datensätze des Usability-Experten Nielsen, die in der Zeit zwischen dem 1. Januar 2011 und dem 31. Dezember 2011 erhoben wurden. Die Daten stammen zu einer Quantität von jeweils 5.000 Stück aus den Ländern Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Deutschland. Nach bestimmten Kriterien wurden Datensätze gefiltert, sodass am Ende etwas über 16.000 von ihnen zur Auswertung herangezogen wurden.
Hervorzuheben ist, dass Aguiar und Martens durchaus eingehend auf mögliche Schwierigkeiten hinweisen, die bei der Auswertung der Daten aufkommen. Bspw. hätte man nicht eindeutig auswerten können, in welcher Aktion ein “legaler” Klick gemündet sei. D. h. man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob unmittelbar nach dem Klick ein Kauf “hätte erfolgen können” oder nicht. Entsprechend sind die oben präsentierten Prozentwerte lediglich als Angaben zu verstehen, die auf “die Möglichkeit” hinweisen, nicht auf das, was letztlich tatsächlich passierte.

“It is important to note that we are only able to observe the number of clicks on a given website and that we do not have a precise description of the individual behavior for each click. Rather than measuring actual consumption or purchases, our data therefore gives a measure of the propensity to consume music.”
Aguiar und Martens (2013)

Trägt man der Realität Rechnung, bleibt von 0,2% und 0,7% Klicks sowieso nur noch ein Bruchteil übrig. Es ist davon auszugehen, dass nicht jeder Klick in einem Kauf mündete. Diese 0,2 und 0,7% allerdings wurden von Aguiar und Martens selbst nur auf insgesamt 98% der gesamt erhobenen Klicks bezogen.
Man kann entsprechend festhalten, dass zwar sehr gewissenhaft gearbeitet und ausgewertet wurde, aber letztlich nicht ernsthaft eine Aussage getroffen werden kann.
Als Einschränkung muss man ebenfalls die einzig als Clickstream-Daten vorliegenden Untersuchungsobjekte ansehen. Die beiden Akademiker betonen zwar, dass ihnen demographische Daten vorliegen, um Daten zuordnen zu können, doch letztlich kann z. B. niemand mit Gewissheit sagen, was eine Person X dazu getrieben hat, auf den Link Y zu klicken. Vielleicht hat gerade die Farbe eines Banners oder dessen Animation einen Reiz bei Person X ausgelöst, dessen Daten gespeichert wurden, und der “konstruierte” Zusammenhang wäre somit ein noch deutlich schmalerer Grat als sowieso schon.
Außer Acht, so scheint es zumindest, lassen die Wissenschaftler in ihrer Darstellung zudem die “andere” Perspektive. Wenn sie selbst einschränken, nicht zu wissen, ob ein Klick auf einen “legalen” Link zu einem Kauf führte, können sie ebenso wenig auswerten, ob ein “illegaler” Klick immer in einem Download endete.

Via Heise.


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