Android hat ein Java-Problem, und Gameloft auch
Alexander Trust, den 5. August 2011Ich erinnere mich noch, dass mir vor Jahren bei einem Hands-on-Termin in Köln ein ehemaliger Gameloft-Mitarbeiter erzählte, dass sich bei der Firma „so etwas“ wie Freude darüber eingestellt hat, dass es mit iPhones, vielmehr mit iOS einen neuen Markt gibt, der anders strukturiert ist als derjenige für Java-Handys. Gameloft ist mittlerweile nicht mehr in Köln, sondern in Berlin, doch wegen dem „vermeintlichen“ Siegeszug von Android, hat der Spiele-Hersteller nun wieder das gleiche Problem, das er seinerzeit glaubte, beerdigen zu können.
Der Twitter-Account von Gameloft-Deutschland befindet sich in meinem RSS-Reader, und hin und wieder verfolge ich die Gespräche, die der neue Mann für Public Relations in Berlin mit den Fans der Marke und der Spiele darüber führt. Heute ist nicht zum ersten Mal eine Diskussion auf Gamelofts Timeline entstanden, die mich an die Situation von vor ein paar Jahren denken lässt.
Bevor aber nun jemand sich genötigt fühlt, den ganzen Text lesen zu müssen, die Quintessenz: Ich möchte einerseits argumentieren, warum Android-Besitzer – und dieser eine (@HTCInside) im Speziellen – ihre Erwartungshaltung an Gameloft korrigieren müssen und andererseits, warum Android als Plattform nicht nur Gameloft, sondern alle Gamesanbieter vor Probleme stellt.
Der Nutzer @HTCInside erkundigte sich gestern Nachmittag: „Wann wird Order & Chaos endlich für das HTC Sensation verfügbar sein?“ – Das HTC Sensation ist eines der neusten Geräte des taiwanesischen Herstellers. Ein High-End-Gerät mit Dual-Core-Prozessor und Android-Betriebssystem.
Von @Gameloft_DE erhält @HTCInside die unbefriedigende Antwort, dass eine „Umsetzung von Order & Chaos Online für HTC Sensation“ derzeit nicht geplant sei. Entsprechend fällt die Antwort von @HTCInside aus: „Welche Gründe gibt es denn dafür? Ihr verliert dadurch viele potenzielle Kunden!“ – Diese Wahrnehmung, dass Gameloft „viele“ Kunden verlöre, ist sehr subjektiv.
Falsche Erwartungshaltung
Wenn man ein wenig Recherche betreibt, dann soll HTC etwa 9 Millionen Geräte weltweit im ersten Quartal 2011 verkauft haben. Wohlgemerkt bietet HTC mehr als ein Dutzend Smartphone-Modelle und Tablets an. Darüber hinaus bietet der Hersteller nicht nur Android-Geräte an, sondern z. B. auch solche mit Windows Phone 7; damals (Q1) gab es das HTC Sensation aber noch nicht.
Für das zweite Quartal 2011 erwartete HTC selbst 11 Millionen verkaufte Geräte und wie auf Bloomberg (engl.) zu lesen war, konnte der Hersteller seine eigenen Erwartungen in puncto Umsatz übertreffen. Laut eigenem Abschlussbericht von HTC (engl., pdf) hat man im Q2 insgesamt 12,1 Millionen „Handsets“ ausgeliefert.
In dem Bloomberg-Artikel heißt es zudem, dass der CEO von HTC angab, dass die Nachfrage nach HTC-Geräten in den USA und Asien nach wie vor vorhanden sei, lediglich in Europa würde man einen Abschwung (slowdown) feststellen. Nun gehört aber @HTCInside ja ganz offensichtlich zur Käufersicht der Europäer im weitesten Sinne. Trotzdem, keine Frage, das HTC Sensation ist ein klasse Smartphone.
Überzogene Ansichten
HTC hat laut eigenem Bericht (engl., pdf) im Q2 insgesamt 6 neue Geräte herausgebracht. Man stellt eine Differenz von Q1 zu Q2 von 2,4 Millionen Einheiten fest. Es ist zwar eine Milchmädchenrechnung, aber wenn man lediglich diesen Zugewinn von 2,4 Millionen ausgelieferter Geräte durch sechs teilt, kommt man auf 400.000 potenzielle HTC Sensations, die ausgeliefert wurden, berücksichtigt man die Rücklaufquote (30%) (vgl. TechCrunch, engl.) kommt man auf 280.000 Geräte in freier Wildbahn. Die Wahrheit wird sicherlich ein wenig anders aussehen, aber dieses Gedankenbeispiel soll in erster Linie verdeutlichen, wie überzogen ich die Forderungen eines HTC-Sensation-Besitzers finde.
Wenn man sich überlegt, dass also von diesem Gerät „nach der vereinfachten Rechnung“ vielleicht 300.000 Stück im Umlauf sind, man unter Umständen noch Abzüge einkalkulieren muss, da das Sensation nicht das gesamte Q2 zum Verkauf stand, sondern erst zur Mitte, bzw. zum Ende des zweiten Quartals hin veröffentlicht wurde, kommt man auf eine eher bescheidene Summe. Bescheiden auch deshalb, weil beispielsweise am ersten Verkaufstag des iPhone 4 bereits 5 Millionen Einheiten verkauft worden sein sollen. Zudem ist „nicht jeder“ Sensation-Besitzer ein potenzieller Käufer eines Online-Rollenspiels wie Order & Chaos Online. Wenn man nun all das berücksichtigt, dann scheint die Erwartungshaltung von @HTCInside mehr als überzogen.
Das Update-Problem #1
In Online-Foren liest man zudem teils widersprüchliche Kommentare. Einige HTC-Besitzer scheinen über die „Update“-Politik des Herstellers nicht begeistert zu sein (vgl. z. B. ComputerBase). Bei einem anderen Modell, dem Desire, dauerte es beispielsweise 6 Monate, bis der Hersteller entscheidende Fehler mittels Update ausmerzte (vgl. Heise). Allerdings war das Update nicht für Geräte mit Telekom-Branding geeignet, konnte nicht auf jede Weise aufgespielt werden, und war von HTC selbst nur für erfahrene Nutzer zur Installation empfohlen.
Dieses Update-Problem hat zwei Seiten: Eine davon betrifft die Kunden, die entweder technisch versierter sein müssen, oder aber Gefahr laufen, nicht mehr alle Funktionen nutzen zu können. Manche Erfahrung sorgt vielleicht auch dafür, dass mittelfristig die Verkaufszahlen von HTC wieder zurückgehen, und sich weniger Geräte verkaufen. Die andere Seite betrifft in technischer Hinsicht „auch“ Gameloft. Dazu später mehr.
Asien als Argument?
Wenn @HTCInside (stellvertretend für andere Android-Besitzer) davon spricht, dass „ein“ spezielles Handy-Modell Gameloft Bauchschmerzen bereiten könnte, wenn man dafür ein Spiel nicht herausbrächte, muss man sich den Markt genauer angucken. Da es von HTC selbst heißt, die Nachfrage in Asien sei nach wie vor vorhanden, könnte dies ja für Gameloft ein Argument sein.
Genaue Infos zu den Verkaufszahlen von Gameloft-Games in Asien wird man allerdings schwerlich auftreiben können. Der Hersteller verweigert konkrete Aussagen zu Verkaufszahlen generell. Es gibt aber durchaus Indizien: Wir berichteten selbst über den gesteigerten Umsatz von Gameloft im ersten Halbjahr 2011. In dem Beitrag wird erwähnt, dass 33 Prozent der Umsätze von Gameloft in Europa erzielt werden, dazu kommen 28 Prozent in Nordamerika, macht zusammen 61 Prozent, also knapp zwei Drittel. Der Rest von 39 Prozent entfällt auf „den Rest der Welt“. Zum einen ist mit diesem Rest u. a. Südamerika, der Mittlere Osten und Asien gemeint. Zum anderen hat aber Gameloft eine Vielzahl von Produkten und veröffentlicht so z. B. einen Teil seiner Spiele für diverse Set-Top-Boxen, unter anderem auch solche in Südamerika und darüber hinaus ist Gameloft ja nicht nur auf Smartphones und Tablets aktiv, sondern z. B. auch auf dem Nintendo DS oder der PlayStation 3. Je weiter man bohrt, desto geringer wird der Anteil, den der Umsatz des französischen Spieleherstellers durch Verkäufe von Games für Smartphones in Asien ausmacht. Gameloft hält immerhin japanische Sprachversionen seiner Spiele bereit, zumindest bei iOS-Games ist es so.
Grundsätzlich ergibt sich aber ein Problem, das nicht Gameloft allein hat, sondern mit vielen Firmen aus dem „Westen“ teilt. Manche Videospiel-Hersteller veröffentlichen ihre Games erst gar nicht in Asien, weil es einen kulturellen Bias gibt, der Produkte, die hier gehyped werden, dort zum Flop werden lässt und umgekehrt übrigens auch. Zudem gelten für China noch einmal gesonderte Bestimmungen – Apple, Microsoft und Sony können ein Lied davon singen. Lenovo musste eine Tochterfirma mit Sitz auf chinesischem Territorium gründen, um überhaupt eine Spielekonsole auf dem chinesischen Markt anbieten zu dürfen. Manche japanischen Videospiel-Produktionen finden umgekehrt, wenn sie in Asien erfolgreich waren, teils erst mit über einem Jahr Verspätung den Weg in den Westen und können aber oft die Verkaufszahlen nicht einstellen. Man kann also als Gameloft den asiatischen Markt (noch) nicht so wirklich als Argument wahrnehmen.
Das Update-Problem #2
Betrachten wir nun das Problem aus der Perspektive von Gameloft: Während man auf iOS-Geräten als Hersteller weiß, beziehungsweise davon ausgehen kann, dass das Gros der Geräte immer mit der aktuellsten Software-Version ausgestattet ist, und man entsprechend seine Software danach programmiert, ist das bei Android leider nicht so. Gerade die „Offenheit“ des Systems, die vielleicht für manche Personen zu befürworten ist, wird gerade in diesem Punkt zum Verhängnis.
Google veröffentlicht zwar Basis-Versionen seines Betriebssystems und der Updates, doch diese werden dann an die Hersteller ausgeliefert und müssen an die Gegebenheiten der Geräteplattform angepasst werden. Der Kollege Keller würde formulieren, dass die Firmen sie „verkorksen“, und dass dieser Prozess eben Zeit in Anspruch nimmt. In der Regel werden die Updates von den Hardwareherstellern dann zu den Netzbetreibern geschickt und diese fummeln ebenfalls noch einmal daran herum. Erst dann gibt es das Update für die Kunden. Wie oben bereits erwähnt, gab es z. B. das notwendige Update für das HTC Desire dann nicht für Telekom-Kunden. Ein Zustand, der Gameloft und anderen Spieleherstellern keine Planungssicherheit beschert. Man kann nämlich seine Spiele nicht wie bei iOS für eine Plattform entwickeln, sondern muss ebenfalls immer Änderungen vornehmen. Für manche Smartphone-Plattform sind die Änderungen aber dann durchaus nicht mehr innerhalb von ein paar Stunden oder Tagen durchzuführen, sondern erfordern mehr Aufwand und Ressourcen. Dies ist eine simple Frage von Kosten und Nutzen.
Das Update-, bzw. Software-Problem muss man sich dann noch mit einem langen Rattenschwanz versehen vorstellen. Denn auch Android hat Sicherheitslücken oder erhält neue API-Befehle durch Updates. Wenn man sich nun überlegt, wie viele verschiedene Geräte es gibt, und wie viele Wege ein Software-Update gehen muss, ehe es auf einem Gerät ankommt, dann kann man sich vielleicht vorstellen, wie problematisch das am Ende für einen Gamesanbieter wie Gameloft werden kann. Denn Gameloft müsste unter Umständen ad hoc reagieren, um Schaden abzuwenden. Angenommen, ein Update eines Herstellers sorgte dafür, dass ein Spiel von Gameloft dauernd auf dem Gerät X abstürzt, obwohl es vor dem Update tadellos funktioniert hat.
Diesen Aufwand an Ressourcen zu organisieren und wirtschaftlich zu kalkulieren wird dank der „Offenheit“ von Android (und den vielen Plattformen) nicht nur für Gameloft zunehmend schwieriger und irgendwann kommt der Punkt, an dem es beinahe unmöglich wird, salopp formuliert, „den Sack Flöhe zu hüten“. Das war übrigens genau das Problem, das Gameloft vor ein paar Jahren hoffte mit dem Ende der Java-Games-Ära ad Acta legen zu können.
Ganz besonders perfide wird es dann, wenn Gameloft sich am Ende Kritik anhören muss, selbst aber gar nichts dazu kann, sondern eventuell auf dem langen Weg von Google, über die Hersteller, zu den Providern bei der Implementierung des Betriebssystem-Updates etwas nicht so funktioniert hat, wie es soll. Das ist das Stille-Post-Phänomen, dass am Ende nicht das rauskommen muss, was am Anfang aber eingetrichtert wurde, und die Spielerhersteller haben das Nachsehen. Aber das verstehen dann die wenigsten „Endkunden“. Wenn es schon jetzt Hersteller gibt, die keine Updates mehr für gewisse Geräte rausbringen, soll man dann von Gameloft erwarten, dass sie sich auf jede neue Plattform sofort stürzen?
Das Hardware-Problem
Die im vorherigen Absatz aufgeworfene Frage kann man dann übrigens noch an der Hardware weiter diskutieren. Bei den iDevices gibt es mittlerweile auch einen Bruch in der Architektur, und manche Games laufen nicht mehr auf älteren Geräten. Gameloft allerdings bietet seine Spiele häufig trotzdem für alle iOS-Geräte an, weil der Hersteller früh damit angefangen hat, seine Spiele zu skalieren. Man hat die Möglichkeit unterschiedlich viele Ressourcen auf den Plattformen abzufragen, während die Basis ansonsten identisch ist. Auf den neueren Geräten lassen sich beispielsweise bessere Grafik-Effekte nutzen, wegen der besseren Grafikchips und dem damit verbundenen größeren Umfang an OpenGL-Features. Auf älteren Geräten werden die Effekte einfach weggelassen und das Spiel klappt trotzdem, zumindest einfach ausgedrückt. Microsoft hat im Übrigen bei seinem System Windows Phone 7 immerhin ebenfalls gewisse Minimalanforderungen an die Geräte, so dass man als Entwickler von einem Basissatz an Ressourcen ausgehen kann, die zur Verfügung stehen.
Bei Android – und das ist gar nicht so sehr Google anzulasten – ist die Hardware-Basis derart unterschiedlich, dass das manchmal nicht möglich ist, und sie wird immer größer die „Vielfalt“ der Plattformen. Ein Android-Device unterstützt 3D, ein anderes hat eventuell kein echtes Multitouch-Display, und wieder ein anderes, wie etwa das Xperia Play, hat „echte Buttons“ als Steuerungseinheiten. Als Gameloft beispielsweise eine Version des Ego-Shooters N.O.V.A. für das PlayStation Phone herausbrachte, sah man auf dem Head-up-Display noch Elemente, die von Geräten mit Touchscreen-Steuerung herrührten, die aber ja auf dem Xperia Play wegen Analogstick und Aktionsbuttons ohne Funktion blieben. Entsprechend waren diese Anzeigen nur Ballast auf dem Display. Gameloft durfte sich dafür ein wenig Gekicher anhören.
Und wo wir gerade beim Display sind. Das HTC Solution hat eine recht „hohe“ Auflösung, es gibt andere Geräte, die weniger Pixeldichte und Bildpunkte anbieten. Für Gameloft bedeutet dies, entweder den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, dann würden aber auf Geräten mit höherer Auflösung die Spiele „bescheiden“ ausschauen, oder aber man muss eben die Texturen in den 3D-Games jedes Mal für eine spezielle Auflösung anfertigen, damit alles „passt“. Von den unterschiedlichen Prozessoren in den Geräten möchte man am besten gar nicht erst anfangen zu sprechen.
Fazit
Meine Meinung ist, dass Gameloft erst noch den Erfolg des HTC Sensation abwarten wird. Meine Meinung ist aber ebenso, dass Android-Besitzer sich der oben auszughaft beschriebenen Problematik bewusst werden müssen, damit sie nicht derart überzogene Forderungen formulieren. Und für Gameloft und andere Games-Entwickler hoffe ich, dass sich irgendwas am „System“ Android ändert. Vor allem mit Blick auf Independent-Entwickler, die so viele Ressourcen gar nicht haben, um die vielen vielen Plattformen und unterschiedlichen Versionen zu beackern.