Götterdämmerung in der (Medien)Pädagogik: Wenn Computer zum selbstverständlichen Werkzeug werden
rj, den 12. März 2011Im dritten Teil unserer Miniserie zum Thema Lernen mit Macs melden sich zwei Pädagogen zu Wort, die die Potentiale von Internet und Apple-Gerät in der Jugendbildungsarbeit nicht nur kennen, sondern anwenden. Eike Rösch und René Scheppler kommen aus der Medienpädagogik und der schulischen Praxis und zeigen, dass die pädagogische Praxis deutlich weiter ist, als der Technikskeptizismus im zweiten Teil möglicherweise glauben machte.
Das zur Vorrede von meiner Seite (rj) – anmerken möchte ich nur, dass ich an der Stelle nicht nur für das Widerlegen vieler meiner Kritikpunkte dankbar bin, sondern auch einiges während der Diskussion rund um diese Miniserie lernen konnte. Danke dafür! Es folgen Eike Rösch und Rene Scheppler zum Thema Macs und andere Apple-Hard- und Software plus Internet in der Bildungsarbeit.
Angeregt durch das Buch von Uwe Nerger hat sich Richard Joos kritisch zum Computereinsatz in der Bildungsarbeit geäußert. Unserer Meinung und unserer Erfahrung nach haben Computer und elektronische Medien jedoch mittlerweile einen guten Platz in der (medien)pädagogischen Arbeit in Schule und Jugendarbeit gefunden, frühe Zukunftsphantasien und Erwartungshaltungen haben einem professionellen Pragmatismus Platz gemacht. Dennoch gibt es weiterhin in einigen Bereichen Entwicklungspotenzial.
Eins vorweg
Natürlich ist es illusorisch – und daher von Richard auch zu Recht eingangs festgestellt – zu glauben, dass der Einsatz von Technik pädagogische Arbeit prinzipiell verbessert. Dieser Effekt ist schlicht nicht vorhanden, da der Computer oder das Internet lediglich ein Medium ist, das wie viele andere auch Bildungsarbeit nur unterstützen, anregen und bereichern kann. Insofern ist jedes Medienprojekt ein pädagogisches Projekt und benötigt ein Ziel und Konzept, in das der Medieneinsatz passen muss.
Das bedeutet auch, dass der Einsatz von elektronischen Medien kein Selbstzweck ist. Natürlich müssen Kinder und Jugendliche sowohl den reinen Umgang als auch den kritischen Nutzen von elektronischen Medien erlernen und erproben können. Methoden- und Medienkompetenz ist aber nur eine neben drei weiteren Kernkompetenzbereichen in Form der Fach-, Selbst und Sozialkompetenz. Erst im Zusammenspiel dieser 4 Kompetenzen mit ihren bekannten Ausdifferenzierungen kann im Sinne aktueller bzw. moderner Didaktik von einem ganzheitlichen Lehr-/Lernkonzept gesprochen werden.
In der Jugend(bildungs)arbeit außerhalb der Schule zeigen sich diese Grundannahme in der Tendenz, dass sich die Medienpädagogik mittlerweile als eine selbstverständliche Methode neben Erlebnispädagogik und anderen etabliert. Der Einsatz von elektronischen Medien findet dort ihren Stellenwert gemäß der Bedeutung, die Medien in der Gesellschaft und besonders im Leben von Kindern und Jugendlichen haben.
Zur Ausstattung
Um den Einsatz von Computern in der Schule selbstverständlich werden zu lassen, bedarf es eines Settings, das eben diesen Zugriff erlaubt. Unterrichtsstunden, die mit einer „Wanderung“ in den Computerraum beginnen, erhalten schnell den Charakter des Besonderen oder Außergewöhnlichen. Dabei braucht es keineswegs die 1:1-Versorgung, die wohl erst mit zunehmend portableren und stabileren Geräten wie iPad-Tablets denkbar werden. Bereits die alltägliche Verfügbarkeit von 2-3 Rechnern im Klassenraum zusammen mit z. B. Laptopwagen kann für viele Schulen eine viel effektivere Variante bedeuten als der statische Computerraum mit langen Vorbuchungen und Belegungen.
Dies ergibt sich auch aus der unterrichtspraktischen Erfahrung, dass binnendifferenzierte und schülerzentrierte Didaktik kaum mehr von dem zentralgesteuerten Unterricht ausgehen kann, in dem zur selben Zeit alle Schüler das selbe machen. Ein solcher stark gelenkter Unterricht wird durch den Einsatz von Computern und Web 2.0 kaum „besser“ werden. Vielmehr wird er das „traditionelle“ Setting an seine Grenzen oder gar darüber hinaus führen.
Aus der eigenen Erfahrung, eher Lerngelegenheiten und davon mehrere für das selbe Thema und/oder Lernziel anzubieten, wird der Einsatz neuer Medien zu einem Baustein unter mehreren, aus denen die Schüler situativ auswählen. Es ist deshalb gar nicht zwingend notwendig, eine derart dichte Ausstattung anzustreben.
Eine weitere Problematik aus einem zentralen Computerraum für eine große Schule führt auch nicht selten zu auffälligen Abnutzungserscheinungen bis hin zu Vandalismusproblemen. Dezentralisiert man die Ausstattung und führt die Zuordnung der Geräte enger, steigt das Verantwortungsbewusstsein der Schüler gegenüber diesen.
Hinsichtlich der Software stehen aus unserer Sicht zwei wesentliche Faktoren im Mittelpunkt gelingender Medienarbeit im Unterricht: Usability und Verlässlichkeit. Aus der praktischen Erfahrung in der Klasse von René Scheppler, in der die Kinder mit mehreren Betriebsystemen an verschiedenen Rechnern arbeiten (die Schüler können frei wählen), zeigt sich, dass die Mac-Umgebung deutlich bedienbarer und verständlicher ist. Schüler kommen damit auch im Erstkontakt merklich schneller und sicherer zurecht.
Verlässlichkeit bedeutet, dass es unabdingbar ist, dass ein Schüler sich auf das elektronische System, mit dem er arbeitet, verlassen können muss. Es darf in einem explorativem, spannenden, voran strebendem Lernprozess nicht passieren, dass ein Schüler Angst/Sorge haben muss, dass das System „sich aufhängt“, Daten verloren gehen oder seine Arbeit anderweitig korrumpiert wird. Auch hier zeigen sich deutliche Vorteile bei Apple-Geräten.
Diesen erkennbaren Vorteilen steht praktisch allerdings allzu oft der Kostenfaktor gegenüber. So besteht für die Schule als auch die Jugend(bildungs)arbeit außerhalb dieser eine finanziell prekären Lage, die den Anforderungen medienpädagogischer Arbeit meist nicht gerecht wird, oft eine Schwerpunktsetzung innerhalb der verschiedenen Arbeitsformen und Methoden stattfinden lässt. Das heißt, dass, während jeder Cent dreimal umgedreht wird, überlegt werden muss, ob damit die Ausstattung des Jugendtreffs, ein neues Kletterseil, eine Playstation oder ein Computer gekauft wird.
Macs finden vor diesem Hintergrund meist nur dort einen Platz, wo Medienarbeit zum Schwerpunkt der Arbeit gehört, ansonsten geht der Trend zum eierlegenden Wollmilchcomputer, der günstig ist, internetfähig, und mit dem ab und zu auch andere Projekte bewältigt werden können.
OpenSource-Software wird immer wichtiger, weil Bildungseinrichtungen so ihr Angebot auch für einmalige Medienprojekte ausweiten können ohne in Software investieren zu müssen. Auch hier sind die Zauberworte Usability und Verlässlichkeit; diese finden sich aber auch mehr und mehr bei freier Software. Abstriche werden bei gelegentlichen Medienprojekten mit Blick auf die Effizienz in Kauf genommen.
Auch Macs haben mit iLife und iWorks eine relativ günstige Grundausstattung für Medienprojekte zu bieten, die insbesondere im Audio- und Videobereich sehr professionelle Ergebnisse liefert. Allerdings rechtfertigt der ungleich höhere Anschaffungspreis die Investition nur für Einrichtungen, die ihren Schwerpunkt in diesem Bereich setzen.
Im pädagogischen Setting ist darüber hinaus bei der Ausstattung auch der Modellcharakter eine Entscheidungsgrundlage: Können Jugendliche das gelernte zu Hause leicht umsetzen? Ist teure Hard- und Software im Einsatz, wird das schwierig. Bei freier Software und einem handelsüblichen Rechner ist es dagegen wahrscheinlicher, dass die Beteiligten auch zu Hause weiter mit den neuen Kenntnissen arbeiten.
Ganz nebenbei gehören MedienpädagogInnen zusammen mit den Jugendlichen auch eher zu den „Pro“-UserInnen. Wer bspw. Filme mit Kindern und Jugendlichen macht, der/die sucht ein Werkzeug, das den Konventionen im Filmgeschäft entspricht. Die gegenwärtige Tendenz Apples, mehr Consumer- und weniger Pro-Produkte und intransparente (Betriebs-)Systeme zu produzieren, macht den Mac als Bildungscomputer mehr und mehr ungeeignet. (So war das neue iMovie vier Jahre lang als Schnittwerkzeug für Jugendvideoproduktionen weitgehend ungeeignet.)
Zum pädagogischen Einsatz
Der genannte Artikel von Richard baut auf einem der grundlegendsten Fehlschlüsse und fragwürdigsten Denkfehler auf, die leider noch allzu oft Grundlage vieler Ausstattungsentscheidungen in Schulen sind Dabei wird davon ausgegangen, dass in der Schule das Aufgreifen und Implementieren einer weiteren, neuen und „basalen Kulturtechnik, deren Stellenwert dem Lesen und Schreiben gleichkommt (Bildungskommission NRW 1995: „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“) möglich sei unter Beibehaltung gewohnter bzw. traditioneller Unterrichtsgestaltung. Oder besser: ohne Unterricht und Lernen neu zu denken.
Wer ein neues und dazu so mächtiges Medium in eine bestehende Lernumgebung bringt, muss sich überlegen, ob diese in der bekannten Form bestehen bleiben kann. Sehr anschaulich wird dies an folgender Behauptung: „Der simple Raumwechsel erspart das Herankarren der Laptops, die Stromverlegerei (Akkus sind *immer* leer), die sicher eintretenden Netzwerk/WLAN-Probleme.“ Wer einen Raumwechsel innerhalb eines Lernprozesses als „simpel“ bezeichnet, unterschätzt die immense Bedeutung des Raums als dritten Pädagogen (nach Loris Malaguzzi). Um das Medium Computer und Internet in das Lernen – und das meint eben nicht nur den Unterricht – zu integrieren, muss es selbstverständlich und permanent verfügbar sein. Dies ist doch der Grund, warum „gerade im schulischen Lernbereich Stift und Heft einer Tastatureingabe um Meilen voraus“ zu sein scheinen.
Mediendidaktik sollte sich nie als Alleinzweck verstehen sondern als Bestandteil eines pädagogischen Konzepts. Hier stehen vor allem Schulen vor der Herausforderung, bestehende Modelle zu überdenken. Es braucht sowohl Hardware- als auch Softwarelösungen, die es Schülern erlauben, in einem zunehmend selbstgestalteten und -organisiertem Lernprozess reibungslos auf die Möglichkeiten der digitalen Medien zuzugreifen.
Die Verknüpfung von Lern- und Lebenswelten, aus welchen die Schüler zunehmend eigene Medienerfahrungen mitbringen, ist eine Chance für neue und evtl. auch ungewohnte pädagogische Ansätze: Lehrer und Lerner können (quasi auf Augenhöhe) gemeinsam und voneinander lernen. Dabei kann der Lehrer in besonderem Maße zu einem Lernbegleiter werden und die Schüler dort abholen, wo sie mit ihren alltäglichen Medienerfahrungen stehen. Der Einsatz von digitalen Technologien, die die Schüler oft nur in unterhaltendem Kontext begegnen, sowie deren zielgerichtete Nutzung kann dem schulischen Lernen eine neue Sinnhaftigkeit geben.
In der Jugend(bildungs)arbeit außerhalb der Schule ist Medienarbeit eine Methode, die einerseits Jugendlichen ein Ausdrucksmittel für ihre Meinung (eigene Websites oder Filme) an die Hand gibt, andererseits zur Auseinandersetzung mit dem Medium selbst (z. B. zu Datenschutz im Netz) anregen soll. Beides macht Sinn und ist weit davon entfernt selbstzweckhaft zu sein.
In beiden Themenbereichen gibt es viele bewährte Konzepte, die ständig angepasst und erweitert werden, entsprechend der dynamischen Weiterentwicklung im Medienbereich (und passend zur Medienwelt der Jugendlichen).
Fazit
In Schulen sind Macs und entsprechende Softwareprodukte eher selten anzutreffen. Ihre Anschaffung braucht oft erhöhten und besonderen Rechtfertigungsbedarf gegenüber preisgünstigeren Alternativen. Neben den OpenSource-Angeboten werden im schulischen Umfeld zunehmen cloud-basierte Dienste interessant. Dadurch wird man zunehmend unabhängig von zugeschnittenen Hard- & Softwarelösungen, wie sie noch vor wenigen Jahren oft flächendeckend eingekauft wurden. Zunehmend (und diese Entwicklung ist mehr als ein Trend) stellen Schulen und Lehrer Programme, Tools und Dienste bedarfsorientiert zusammen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist für Schulen auch zunehmend die heimische Ausstattung der Schüler mit mobilen Endgeräten, die sich möglichst flexibel in die schulische (Netzwerk-)Struktur einpassen lassen sollten. Die Schule bildet dabei eine Art Lernhafen, an den sich die Schüler mit iPods, iPhones, Laptops & Co andocken. Dabei werden durchaus verschiedene Geräte und Betriebssysteme gleichberechtigt nebeneinander zum Einsatz kommen, ohne dass die Schule hierzu vereinheitlichte Hard- und Softwareszenarien auf eigene Kosten anbieten/aufbauen muss.
Jugend(bildungs)arbeiterInnen setzen offen, selbstverständlich und angemessen Medienarbeit als Methode in der Arbeit mit Jugendlichen ein. In großen Teilen orientiert sich die Technik dabei sehr pragmatisch an den Ressourcen und den Inhalten; nur in Teilbereichen finden die Macs dort Einsatz, wo eine Schwerpunktsetzung (und damit eine intensivere Nutzung) die höheren Anschaffungskosten rechtfertigt. Apple zunehmende Entmündigung der NutzerInnen und die schleichende Orientierung an Consumer-Bedürfnissen macht die Software allerdings mehr und mehr ungeeignet für die Jugendbildungsarbeit.
Wo sie stattfindet, macht die Medienarbeit in der Jugend(bildungs)arbeit außerhalb der Schule ganz klar Sinn, weil sie wichtige Inhalte effizient vermittelt, Jugendlichen neue (Ausdrucks)Möglichkeiten eröffnet – und ihnen vor allem Spaß macht und attraktiv ist.
Noch ein Wort zu dem Buch
Das Buch von Uwe Nerger ist unserer Meinung nach zumindest redundant zu kostenlosen Angeboten im Internet. Wer sich mit dem Einsatz von Apple-Software in der Bildungsarbeit beschäftigen möchte, dem/der seien diverse Websites empfohlen, auf denen sich ExpertInnen aus Schule, Jugend- und Bildungsarbeit mit Materialien, Tipps, Tutorials zu Wort melden, die sämtlich kostenlos zur Verfügung stehen:
- René Scheppler bloggt hier zur Arbeit mit Medien in der Schule
- Verschiedene Autoren aus ganz Deutschland veröffentlichen regelmäßig Materialien, Methoden, Projektbeispiele und aktuelle Informationen für die medienpädagogische Praxis in Jugendarbeit und Schule
- Uwe Klemm bloggt hier zu Methoden und Erfahrungen aus der Medienarbeit in der Schule.
- Materialien und aktuelle Infos zu Medienbildung, Medienpraxis und Medienkultur für den schulischen und außerschulischen Bereich
- Bloggende Lehrer
- Twitternde Lehrer
Zu den Autoren
René Scheppler ist Lehrer an der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden. Auf lernwolke.de berichtet er von den Implementierungen digitaler Medien in den eigenen Unterricht. Zusätzlich ist er im Rahmen von Lehrerfortbildungen und den sozialen Netzwerken im regen Austausch mit KollegInnen über diese Thematik.
Eike Rösch, Diplom-Pädagoge aus Mainz, arbeitet als Medienpädagoge mit Kindern, Jugendlichen und Fachkräften in der Jugendarbeit in Rheinland-Pfalz. Im Medienpädagogik Praxis-Blog und per Twitter schreibt er regelmäßig über Methoden, Materialien, Ideen und Trends in der Medienpädagogik. Und ist bekennender Apple-Geek.
Weitere Teile der Reihe Lernen mit Macs an der Schule
- Lernen mit Apple 2: Schulen ans oder vom Netz?
- Lernen mit Apple 1: mac:education von Uwe Nerger, Buchrezension