GIGA – Aufstieg und Fall eines Medienspielplatzes

Stefan Keller, den 1. Januar 2011

Wir schreiben das Jahr 1998. Das Problem: Ein Sender in Deutschland, über das nahezu komplette Kabelnetz zu empfangen, aber keine Inhalte. Daher werden Sendungen aus dem Heimatland, Großbritannien, gesendet, was aber keine perfekte Lösung ist. Unser Artikel beleuchtet die Geschichte des Medienspielplatzes GIGA.

Die Idee: Das Internet als neues Medium. Computer als Mittel zum Zweck. Junge Menschen fangen mehr und mehr an, das Internet zu benutzen und zu lieben. Chat-Rooms werden immer beliebter. Nicht zu vergessen das Fernsehen, das lieben noch mehr Menschen, auch die Jungen. Da lässt sich doch bestimmt etwas machen?

Projekt GIGA

Im Jahre 1998 fängt der Programmchef von NBC Europe an zu träumen. Diese Idee schwirrte schon lang in seinem Kopf herum, doch irgendwie hatte niemand an einen möglichen Erfolg glauben wollen und daher wollte auch niemand etwas investieren. Doch 1998 wurde die NBC Europe von der DFA übernommen. Steht dem Projekt nichts mehr im Weg?

Eine kleine Stellenausschreibung sucht nach vornehmlich jungen Menschen – mit oder ohne Kameraerfahrung –, die sich vorstellen könnten, für ein gewisses „GIGA“ Fernsehen zu machen. Diese sind schnell gefunden und nach einigen Promo-Takes, die dann im Programm von NBC Europe laufen, geht es am 30. November 1998 um Punkt 15 Uhr los: GIGA geht auf Sendung.

Was ist GIGA?

Schnell machte sich die Frage breit, was denn GIGA überhaupt sei. Eigens dafür entstand auch ein kleiner Trailer, der unter Zuhilfenahme der Moderatoren, die bei GIGA „Netzreporter“ heißen, aufklärte, was GIGA ist: ein interaktives TV-Format, das Fernsehen mit dem Internet verbindet. Die Netzreporter arbeiten (aktuelle) Themen aus, stellen sie im Fernsehen vor und die Zuschauer können in der Community, bestehend aus Chat und Forum, ihre Meinung dazu abgeben. Die Netzreporter lesen die ihrer Meinung nach geeigneten Meinungen live vor und gehen darauf ein. Über einen Zeitraum von fünf Stunden entsteht so Tag für Tag eine rege Diskussion. Schon fast zu einem Running-Gag wurde der Server der Community, der mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit während der Sendung in die Knie gezwungen wurde.

Themen beim ursprünglichen GIGA waren „Sport & Fun“. In der Rubrik wurden Sportarten behandelt. Die Kategorie „Stars“ deckte den Klatsch und Tratsch über Promis ab, berichtete aber genauso über neue Filme, die ins Kino kommen. „Games“ hieß die Sparte, in der Videospiele vorgestellt und besprochen wurden; sie wird im Laufe der Geschichte noch einmal wichtig. Der Community versuchte man in der Rubrik „Help“ bei Problemen mit ihrem PC zu helfen und berichtete über neue IT-Entwicklungen. Und in der Kategorie „Webtipp“ stellte man Webseiten vor, die es zu besuchen lohnte.

Das Konzept scheint aufzugehen: Die Community ist aktiv und die ersten Werbeparter, z. B. die Telekom und Nike, sind gefunden.

Zwei Jahre später: Noch mehr Spiele

Der Games-Bereich wird ausgebaut – sogar ausgelagert. In der 15-Uhr-Sendung gibt es ihn zwar nach wie vor, aber eben nur als kleinen Bereich. Das ändert sich zum zweiten Geburtstag von GIGA. NBC Europe strahlt zusätzlich am Abend GIGA GAMES aus, ein Format, das ausschließlich Spiele behandelt. Dafür ist es kompetenter und ein wenig durchgeknallt.

Noch mehr Outsourcing: Help

Schöne heile TV-Welt? Könnte man fast meinen. Als zweites Format, das ausgelagert wird, trifft es den Help-Bereich. Er bekommt ebenfalls seine eigene Sendung am Abend, wird jedoch schnell wieder eingestellt, weil „es keine Praktikanten mehr gibt“. Fans fanden das sehr schade, Kritiker sahen spätestens zu diesem Zeitpunkt schon, dass das Schiff in Seenot zu geraten droht.

Der Anfang vom Ende? Das Vierte

Es war im Spätsommer 2005, als bekannt wurde, dass GIGA von Düsseldorf nach Berlin umzieht. Der Grund: NBC Universal, und infolge dessen auch GIGA, kaufte seine Anteile an NBC Europe zurück, übernahm genauer gesagt die mehrheitliche Anteilschaft an der DFA. Der neue Eigentümer möchte einen Spielfilmsender etablieren: das Vierte. Da ist nur begrenzt Platz für GIGA. Das Nachmittagsformat wird auf drei Stunden gekürzt und für GIGA Games ist scheinbar gar kein Platz mehr. Doch GIGA, oder besser gesagt nur der GAMES-Teil, wurde ebenfalls verkauft, und zwar an die ESL. Sie hatte vorher schon Erfahrungen mit einem eigenen Sender (ESL-TV) und wollte GIGA GAMES retten. Man wollte einen neuen, über Satellit und Internet empfangbaren, Sender realisieren. Dafür musste GIGA GAMES nach Köln umziehen, wo der Sender, oder das was jetzt noch übrig ist, heute noch residiert.

Einstellung von GIGA; GIGA2 und GIGA GAMES

Aufgrund der geänderten Sendezeiten – GIGA fing jetzt schon 13 Uhr an – und der dramatischen Kürzung, verlor GIGA Zuschauer. So viele, dass die Programmchefs vom Vierten entschieden, GIGA letztlich komplett abzusetzen. So richtig passte es ihnen ohnehin nicht ins Konzept. Das geschah zum 30. März 2006 und von dem Mythos GIGA blieb im Prinzip nur noch GIGA GAMES übrig.

Praktisch zur selben Zeit, in der die Einstellung des Mutterformats angekündigt wurde, machte eine weitere Ankündigung die Runde. Zum 06. Juni 2006 solle etwas fertig werden, das auf den Namen „GIGA\“ (GIGA2) hören sollte und sich komplett dem eSport verschrieben hat. Gedacht war dies allerdings nicht als kostenfreier Sender, wie es GIGA geworden ist, sondern als Internet-Sender auf Abo-Basis. Dies wurde dann mehr oder minder die Fortsetzung von ESL-TV.

Doch auch auf dem kostenlosen Sender GIGA wurde umgebaut – der frühe Abend gehörte ab sofort ebenfalls dem eSport. Fortan wurde der Freitag zur Übertragung der Intel Friday Night Games genutzt. Das hatte zur Folge, dass GIGA (GAMES) erstmals in seiner Geschichte nicht mehr fünf Tage pro Woche sendete. Am Freitag wurde stattdessen die Sendung GIGA GAMES Weekend aufgezeichnet, die am Sonnabend-Abend gesendet wurde. Apropos Aufzeichnung: Ein weiteres Novum in der GIGA-Geschichte war die Abstinenz von Live-Sendungen an manchen Tagen. Montags und dienstags war nurmehr eine Aufzeichnung von GIGA GAMES zu sehen, mittwochs und donnerstags war die Sendung hingegen nach wie vor live.

GIGA 07 rockt!

Im vierten Quartal 2006 startete eine Werbekampagne, die versprach, dass GIGA 2007 viel besser wird. Konkretisiert wurde dieses Werbeversprechen erst mit der Zeit. Es kristallisierte sich eine neue Corporate Identity heraus und ein neues Sendekonzept. Hierbei wurde der eSport deutlich reduziert und es folgten neue Formate, die in sich ein klein wenig an das alte GIGA erinnerten. Als Beispiel sei hier „Spam Deluxe“ genannt, das sich an den Community-Gedanken alter GIGA-Tage orientierte. Hinzu kamen unter GIGA-Fans beliebte und lange geforderte Kleinigkeiten im Sendealltag. So hielt die Doppelmoderation bei GIGA Games wieder Einzug – jeder Bereich hatte seither wieder zwei Moderatoren.

Der Anfang vom Ende? Premiere wird Alleininhaber

Im Dezember 2007 macht das Gerücht die Runde, dass Premiere beim Kartellamt nachgefragt hat, ob es in Ordnung wäre, wenn sie der alleinige Anteilseigner wären. Das wurde bejaht und zum 1. Januar 2008 wurde bekannt gegeben, dass GIGA nebst Sender, Marken und Moderatoren ein Tochterunternehmen von Premiere ist. Betont wurde seither immer und immer wieder, dass Premiere weder vor hat, den Sender in ein Pay-TV-Angebot umzuwandeln, noch den Leuten in der Exekutiven ins Handwerk zu greifen. „Macht was Schönes!“, sei die Anweisung der Premiere-Leute gewesen.

Der große Relaunch

Große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus. Erste Umstellungen bei GIGA Games machen sich bemerkbar und es wird verkündet, dass sich „demnächst“ vieles ändert, das aber eine Sommerpause – erstmals in GIGAs Geschichte – veranstaltet wird und derweilen Wiederholungen statt neuer Sendungen gesendet werden. Es entstand auf der GIGA-Webseite ein Weblog, in dem über aktuelle Geschehen berichtet wurde, und erstmals das Kind beim Namen genannt. Bis Mitte August werde die Sommerpause anhalten, danach gehe es besser denn je weiter.

Pünktlich zur Games Convention war es soweit. Unter dem Motto „Fuck Reality“ geht das neue On-Air-Design auf Sendung und damit ein neues Sendekonzept. Statt vielen Sendungen zwischen 30 Minuten und zwei Stunden ist „GIGA“ nun nur noch eine große Live-Sendung. Die einzelnen Bereiche (PC, Konsolen sowie die nicht-spielebezogenen Formate) wurden in Slots zu 15 Minuten verpackt, einige Sendungen bekamen mehrere Slots, sodass sie dann etwa 30 Minuten Sendezeit abzüglich Werbepause bekamen. Jede Stunde wurde „GIGA – The Show“ ausgestrahlt und informierte über Vorkommnisse aus der Welt der Spiele.

10 Jahre GIGA

Am 30. November 2008, einem denkwürdigen Tag für GIGA, wurde das 10-jährige Bestehen der Online-TV-Party gefeiert. Vom ursprünglichen GIGA war zwar fast nichts mehr übrig, doch Konzepte aus der Urzeit wurden wiederentdeckt. Die Party dauerte vier Stunden und zelebrierte eine Art Familientreffen. Viele Köpfe aus vergangenen GIGA-Tagen wurden eingeladen und um ihre Meinungen gebeten. Doch bei einem Thema waren sich alle anwesenden Gäste einig: Auf die nächsten 10 Jahre!

Freitag, der 13.

Manche mögen abergläubisch sein, aber für GIGA-Fans war Freitag, der 13. Februar 2009, ein rabenschwarzer Tag. Hatte man am Donnerstag noch gesendet als wäre nichts gewesen, verkündete am Freitag die Webseite „GIGA wird eingestellt – Danke an die beste Community im Netz!“ Dem voraus ging bereits ein Einschnitt in das selbst erstellte Konzept aus dem August: das Nachrichtenformat sowie einige andere Slots wurden vorproduziert und nicht mehr live gezeigt. Dies solle helfen, ein paar Kosten zu sparen, sei sonst aber nicht weiter kritisch, hieß es von offizieller Stelle.

Projekt: GIGA @ ARD

Die Community, die beweisen wollte, des Titels „beste Community im Netz“ würdig zu sein, hat sich einiges überlegt, um GIGA ggf. noch zu retten. Neben einer Sammelaktion, um GIGA unter den Fans aufzuteilen, stand auch der Vorschlag zur Diskussion, GIGA von anderen, gesünderen Sendern aufkaufen zu lassen. Große Erwartungen hatte man dabei an die ARD. Denn das Problem, das GIGA hatte, waren seit jeher (zu) niedrige Werbeeinnahmen. Wäre GIGA ein öffentlich-rechtlicher Sender, wären Zuschauerzahlen und Werbeeinnahmen ein eher untergeordnetes Thema – GIGA wäre gerettet. Der Vorschlag wurde jedoch nach einigem Hin und Her vor dem Intendantenrat der ARD abgelehnt. Man versprach jedoch, Teile des GIGA-Konzepts in neuen, eigenen Sendungen ausprobieren zu wollen.

GIGA goes IGN

Kurz vor der geplanten Abschaltung der Server, im April 2009, verkündete GIGA, dass zumindest die Webseite – mehr stand wohl ohnehin nicht zur Debatte – „gerettet“ sei. IGN, Partner von GIGA seit dem Relaunch, habe die Rechte aufgekauft. Auch wenn GIGA nicht das „IGN Germany“ werden soll, bot sich ein solcher Schritt aus strategischen Gründen an, denn im englischsprachigen Raum ist IGN eine der großen Marken.

„Ein bisschen TV“ macht GIGA aber noch immer. Im Rahmen von „The Daily G – GIGA täglich“ produzieren die noch bei GIGA arbeitenden Angestellten jeden Tag ein Video von ca. 15 Minuten Länge. Sie berichten dort über aktuelle Vorkommnisse, wie es „GIGA – The Show“ im TV tat.

Markant an der „Rettung“ ist aber die Tatsache, dass IGN zum News Network gehört, bei dem zufällig Rupert Murdoch der Inhaber ist. Dies trifft genauso auf Premiere (mittlerweile Sky) zu. GIGA bleibt also in der Familie.

Den letzten Höhepunkt erlebt der Medienspielplatz GIGA im November 2010. Michael Schlieper verließ das zuletzt nur noch als Web-only-Projekt betriebene GIGA, er orientiert sich anders. Carsten Groll ist nun noch das letzte verbliebene Urgestein aus den GIGA-Anfangszeiten.


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