Der Einfluss von T9 auf die eigene Sprache
Alexander Trust, den 9. Februar 2008Kaum ein Land ist derartig Krösus im Bereich von Short Message Service wie die BRD, im Europavergleich zahlen wir so gut wie immer am meisten. Nur in den Niederlanden und Österreich kommt es manchmal vor, dass die Nutzer mehr pro SMS an den Dienstanbieter entrichten müssen als hierzulande. Trotzdem verschicken wir eben nicht wenig SMS-Nachrichten pro Jahr, pro Kopf. Obgleich wir nur Dritter bei der Fußballweltmeisterschaft wurden, und unsere Schüler bei PISA und anderswo nicht immer vornauf sind, in Sachen SMS-Nachrichten macht uns niemand etwas vor. 2003 beispielsweise waren wir europameisterlich. 25 Milliarden Kurznachrichten, so viel wie kein anderes europäisches Volk, verschickten die deutschen Dukatenesel. Dukatenesel deshalb, weil wir ja auch am meisten dafür ausgegeben haben. Der Handydurchsatz (Mobiltelefon pro Einwohner) ist in Deutschland ziemlich hoch.
Wissenschaftlich betrachtet lässt dieses Szenario im Bereich der Sprachwissenschaft Potenzial erkennen. Das Feld der Sprachwandeltheorien lässt sich prima mit empirischem Material bestücken, um folgende These plausibel zu untermauern: T9 (Text on 9 keys, vgl. Wikipedia) verändert die eigene Muttersprache. Warum und wieso? Nun, es liegt auf der Hand. SMS-Kommunikation ist eine Form des Sprachspiels. Da wir besonders viel unserer täglichen Kommunikation auf diesem Weg ausüben, hat dieser Kanal auch durchaus Einfluss auf unsere Sprache. Massenmedien, wie das Fernsehen oder die Werbung, indem sie beispielsweise “Fehler” tradieren, tragen dazu bei, dass diese sich über die Zeit normalisieren.
Nun nehmen wir einen Hinz an, und stellen uns vor, wie dieser SMS-Kommunikation betreibt. Er wird sein eigenes Tippen durch das Ergänzungssystem T9 stützen lassen. Jeder Mobilfunknutzer, der auch Kurznachrichten verschickt, weiß, dass das System nicht jede Vokabel der eigenen Sprache beherrscht. Das liegt auch an dem Programm selbst, aber eben auch an den beschränkten Ressourcen eines Mobiltelefons. Zumindest war dies zu Zeiten, da T9 eingeführt wurde, ein Argument – der Flaschenhals schlechthin. Die Datenbank musste klein sein, durfte nicht beliebig groß werden. Das ist heute noch immer ein Problem, müsste es aber nicht in jedem Fall, nicht bei jedem Mobiltelefon sein. Die Entwicklung in diesem Bereich wird vernachlässigt. Das allerdings hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf das eigene Sprachverhalten.
Weil die Kurznachricht via Mobiltelefon zu ziemlicher Beliebtheit gelangt ist, stellen die Handybenutzer natürlich auch Ansprüche an die Kommunikation. Schnell soll es oft gehen, und wie eben auch in der mündlichen Sprache spielt die Sprachökonomie eine nicht ungewichtige Rolle. Was bedeutet Sprachökonomie? Sie bedeutet zum Beispiel, dass Sprecher, der Faulheit wegen Buchstaben verschlucken oder Silben weglassen, oder Buchstaben verschlucken. Machen sie dies oft genug und machen es am Ende unheimlich viele Akteure derselben Sprachgemeinschaft, schleicht sich das anfangs neue Phänomen unmerklich ein. Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod ist zum Teil ein ebensolches sprachökonomisches Phänomen, aber eben nicht nur.
Es gibt durchaus Impulse, die zu völlig neuen Ausdrucksweisen führen, die via SMS eingesetzt werden und sich über die Zeit etablieren. Ich möchte aber ein Praxisbeispiel liefern, das erläutern helfen soll, inwiefern die Kommunikation via SMS auf eine Art zu Verarmung der Sprache führt. Eine Aufgabe für die Wissenschaft wäre, zu untersuchen, welche Phänomene mehr Einfluss nehmen. Ich bin durchaus kein Technokrat, aber eben auch kein konservativer Medienpessimist. Meine eigene Position ist auf einer Skala zwischen diesen beiden Polen auf jeden Fall näher am technikaffinen Pol, dennoch verfüge ich über einige konservative Elemente in meinem Gedankenkonstrukt, die mich dann und wann aufhorchen lassen.
Ein durchaus nicht abgehobenes Beispiel: “gemacht” und “gezimmert” sind die beiden Worte, um die es geht. T9 kennt “gezimmert” nicht. Natürlich bleibt einem immer die Möglichkeit, das Wort in die T9-Datenbank einzutragen, doch die ist bei unheimlich vielen Handys endlich. Und nach einer gewissen Anzahl von Einträgen werden alte Eintragungen durch neue überschrieben. Hier müsste dem Nutzer durchaus eine Option geboten werden, den Handyspeicher für die T9-Datenbank freizugeben. Moderne Mobiltelefone verfügen über mehr als ausreichend Speicher, und es gibt durchaus willige SchreiberInnen, die gerne jedes Mal ihre Datenbank erweitern, um nach einer Zeit des persönlichen Handygebrauchs sagen zu können – ich kann mich mit meinem Wortschatz auch ausdrücken und werde nicht durch mein Mobiltelefon darin reglementiert. Ein Word, das T9 auf jeden Fall kennt ist “gemacht”.
Handynutzer, die SMS-Kommunikation betreiben, vor allem solche, die man gemeinhin als Vielschreiber bezeichnet, sind im Umgang mit ihrem liebsten Kommunikationsmedium durchaus clever. Sie wissen irgendwann, welche Wörter das Handy mit T9 auszuschreiben in der Lage ist oder eben nicht. Anstatt oft mit zeitlichem Mehraufwand ein Wort in die Datenbank einzutragen, kann man ein synonymes Wort verwenden, das T9 kennt. Ein Schreiner kann einen Schrank “gezimmert” haben, oder er kann ihn “gemacht” haben. Die Aussage (fachsprachlich Proposition) bleibt die gleiche. Es gibt eine Vielzahl von Wörtern, die man mit der Zeit “raus hat”, die man anstelle eines anderen Ausdrucks verwenden kann. Das gleicht auf eine Art die Nachteile von T9 (siehe Wikipedia) aus. Auf lange Sicht kann das zu einer Wortarmut in der Kommunikation führen, die sich nachhaltig auf die Ausdrucksweise der Beteiligten in anderen Kontexten ausweitet. Einfach ausgedrückt: Wenn jemand aufm Handy immer dieselben Wörter verwendet, weil er von der Technik in gewisser Weise dazu genötigt wird, wird er sie auch im Sprechen oder Schreiben anderswo verwenden. – Irgendwelche Einwände? Nur nochmal der Vollständigkeit halber: Ich denke nicht, dass das der einzige Effekt von SMS-Kommunikation ist, es gibt noch andere, und eben auch solche, die zu neuen Wortschöpfungen führen, und die Sprache wieder bereichern. Zentral ist: Was bleibt unterm Strich? – Das kann ich aus meiner Position heraus leider nicht beantworten.