Kurt Beck macht GEZ-Fass auf, aber wer berichtet zuerst?
Alexander Trust, den 24. Januar 2006Kurt Beck gegen die GEZ? Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck macht ein GEZ-Fass auf. Er will die Pläne von ARD und ZDF nicht akzeptieren. Stattdessen schlägt er vor: Gebühren rauf, Werbung weg. Das Thema ist bei der Netzgemeinde sehr beliebt. Deshalb wird darüber gerne im Internet berichtet. Doch das Netzmedium hat eine ganz eigene Wahrnehmung. Denn es gilt in ihm nicht der Spruch: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Sajonara möchte an diesem aktuellen Beispiel verdeutlichen, wie selektiv unsere Wahrnehmung von Informationen stattfindet.
Stellt sich Kurt Beck gegen die GEZ?
Auf den ersten Blick könnte man das Gefühl haben, der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz stellt sich gegen die GEZ. Das ist allerdings nur bedingt der Fall. Denn er unterstützt die Ideen nach noch mehr Werbung im Gebühren-finanzierten Fernsehen nicht. Stattdessen lautet sein Plan: Die Gebühren anheben und die Werbezeit reduzieren.
Während das Thema interessant ist, ist die Wahrnehmung desselben im Internet noch interessanter. Diese Situation ist ein tolles Beispiel für die Möglichkeit des Netzmediums, parallele, nebeneinander existierende, öffentliche Sphären zu erzeugen. Ausgangspunkt für die Betrachtung ist ein Beitrag auf der Plattform TVBlogger.
„Im Moment ist es noch ganz normal, dass ARD und ZDF in ihrem Vorabendprogramm Werbung ausstrahlen. Geht es nach dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), dann ist das bald Geschichte. Laut einem Artikel der Netzeitung kann sich dieser nämlich vorstellen, die Werbung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ganz abzuschaffen. Um diesen Einnahmenverlust auszugleichen, müssten die Rundfunkgebühren nur um 1,42 Euro auf 18,45 Euro angehoben werden. Das errechnete die Kommission zur Errechnung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF).“
TVBlogger
Quellenforschung: Wer hat zuerst berichtet?
Bei TVBlogger beruft man sich um 18:26 Uhr auf die Netzeitung als Quelle. Deren Artikel erschien um 16:32 Uhr. Die Plattform hat die Netzeitung als Quelle lediglich namentlich erwähnt und nicht verlinkt. Das ist im Internet eigentlich Gang und Gäbe. Das ist sogar beinahe nicht tragisch. Denn meinem Verständnis nach, wird als Quelle der Urheber der Nachricht angegeben. Wer aber war das? Vermeintlich das Handelsblatt. Denn das berichtete bereits gegen 15:30 Uhr über das Thema. Ich selbst habe das Thema über TVBlogger aufgegriffen. Wenn dort die Netzeitung als Quelle erwähnt wird, liegt es mir spontan fern, das anzuzweifeln. Doch die Recherche straft mich lügen. Chronologisch sind Nachrichten zu dem Thema wie folgt erschienen:
- Artikel auf Handelsblatt.com, 23.01.2006, 15:30 Uhr
- Artikel der Netzeitung, 23.01.2006, 16:32 Uhr
- Kurzer Bericht in der Frankfurter Rundschau, 23.01.2006, 16:48 Uhr
- Artikel in der Financial Times Deutschland, 23.01.2006, 16:54 Uhr
- Eintrag auf TVBlogger.de, 23.01.2006, 18:26 Uhr
Die obige Liste ist unvollständig. Sie zeigt aber: Den Ursprung der Nachricht ausmachen, ist nicht immer einfach, besonders dann, wenn man einem Medium vertraut. Das Protokoll zeigt aber noch etwas. So wie ich die Meldung erst am Abend über eine andere Plattform wahrnehme, ergeht es vielen. Selbst mediale Angebote, die am Ende der Nahrungskette stehen, können Personen informieren. Das Sprichwort „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ findet in dem Fall keine Anwendung. Es wird vielmehr auf den Kopf gestellt. Einzelne Medien verfügen über Stammleser. Die informieren sich in der Hauptsache nur über ihre liebsten Medien. Eine weitere Recherche entfällt. Die Information hat der Leser ja bereits erhalten. Im Gedankenexperiment lässt sich recht gut nachvollziehen, wie viele öffentliche Sphären dadurch erzeugt werden können. Nun ist dieses Phänomen nicht auf das Internet beschränkt. Diesen „funktionale Aspekt“ gibt es ebenso bei anderen Medien.
Von Angesicht zu Angesicht wieder in Mode
Das Netzmedium bietet jedoch eine Besonderheit: In ihm kann prinzipiell jeder Akteur zur Informationsquelle werden. Somit nimmt die Vielfalt der „Öffentlichkeiten“ im ausklingenden Zeitalter der Gutenberg-Galaxie weiter zu. Es entsteht ein Wust von Instanzen von Öffentlichkeit. Das Internet bietet einen Rahmen, der der Face-to-Face-Kommunikation zu neuem Glanz verhilft. Denn es gibt in der Theorie unendlich viele Instanzen von Öffentlichkeit. Wenn uns auf Facebook ein Freund eine Nachricht präsentiert, und wir aber mit der Schlagzeile zufrieden sind, tritt die Quelle mehr und mehr in den Hintergrund. Da bei TVBlogger und anderswo leider unsauber gearbeitet wird, wird der Ursprung der einzelnen Nachrichten leider auch verwischt.
Medienkompetenz wird wichtiger
Das selbstgewählte Beispiel mit dem TVBlogger-Bias zeigt dies sehr gut. Das Verhalten von Internetnutzern ist anders. Es ist anders, als das von Fernsehzuschauern oder Zeitungslesern. Es ist selektiver. Das Angebot im Netzmedium scheint unbezwingbar. Der Anwender wird in die Rolle gedrängt, sich seine Informationen zu suchen. Doch dabei wird Medienkompetenz immer wichtiger. Fällt die Wahl auf die falsche Quelle, wird man womöglich auf die falsche Fährte geführt.