Kommentar zum Unge-Exit bei Mediakraft: „Oah, siehst du die Bremsspur“
Alexander Trust, den 23. Dezember 2014In den letzten Tagen hat es einen Sturm im Wasserglas der Social-Media-Landschaft gegeben. Was anfangs als Unge-Exit bei Mediakraft begann, ist mittlerweile ein Kulturkampf zwischen der Generation YouTube und teils deutlich älteren Menschen geworden, wie zum Beispiel Jan Böhmermann.
Wie alles begann…
Am 20. Dezember veröffentlicht Simon Unge (geboren am 31.08.1990) auf einem seiner beiden (ehemaligen) YouTube-Kanäle, „ungefilmt“, ein Video, in dem er am Zittern ist und die „schwerste Entscheidung“ seines Lebens mitteilt. Der YouTuber kündigt darin die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Mediakraft an, bei dem er eigentlich unter Vertrag steht.
Unge kommt mit seinen Videoveröffentlichungen auf zwei Kanälen monatlich auf gut 30 Millionen „Views“. Kein einzelnes Video erzielt so viele Ansichten, sondern alle zusammen. Der Grund warum die Zahl so groß ist, ist vor allem der aktiven Community Unges geschuldet, die sich häufig in viele Diskussionen in den Kommentaren verstrickt. Allein sein neustes #Freiheit-Online-Kündigungs-Video hat schon jetzt knapp 80.000 Kommentare bei 2,5 Millionen Ansichten.
Leute die eine Antwort schreiben und darauf Feedback bekommen, besuchen das Video erneut und schreiben ihrerseits wieder. Die Zahl der Personen, die sich die Videos von Unge anschauen liegt deutlich geringer als 30 Millionen. Doch die Zahl von bald 810.000 Abonnenten zeigt, dass dieser Jugendliche in der Lage ist, mit seinen Inhalten dem Privatfernsehen in manchen Kategorien Paroli zu bieten. Vom Erfolg von DSDS oder Wetten Dass??? ist Unge dabei noch ein großes Stück entfernt, aber nicht zuletzt reicht es für eine Reichweite, die in 1, 2 Jahren oder schneller an RTL2-Formate wie Köln 50667 oder Berlin – Tag & Nacht herankommt.
Dass es langfristig aber nicht deutlich mehr Zuseher werden als beim Kölner Privatsender, hat genau damit zu tun. Die Inhalte von „ungefilmt“ sind Unterhaltung im Stil der eben erwähnten RTL2-Formate. Jugendliche fahren im Auto durch Köln, telefonieren mit Wildfremden, dissen und bashen sich und die Kulturformate (TV, Musik, Videospiele) um sich herum. Geprahlt wird dann beim gemeinsamen Waschmaschine-Ausräumen vor laufender Kamera mit Sprüchen wie „Oah, siehst du die Bremsspur“ (vgl. Video).
[mn-youtube id="jwoBPk6Mw84"]Die Art und Weise, wie Unge Mediakraft gekündigt hat, ist diskutabel und erinnert tatsächlich daran als hätte Unge die Handbremse gezogen: „Scheißladen“ nennt er Mediakraft Networks. Doch was genau hat das Unternehmen für Unge überhaupt getan? Der YouTuber denkt zu wenig. Die Firma ist ihrerseits gegenteiliger Meinung. Sie tritt als Produktionsfirma für YouTuber auf, ganz nach US-Vorbild. Dort beschäftigen die großen Netzwerke wie Machinima oder Maker Studios neben den Darstellern selbst auch Kameraleute, Drehbuchautoren, Cutter für den Videoschnitt etc. Die Netzwerke bemühen sich zudem um die Vermarktung und Akquise von Werbepartnern.
Richtige Entscheidung mit rechtlichen Konsequenzen
Die Inhalte Unges treffen ganz eindeutig nicht meinen Geschmack. Dennoch denke ich, dass er richtig liegt mit seiner persönlichen Einschätzung, er habe eine der wichtigsten Entscheidungen in seinem Leben getroffen. Unge wird, sollte er demnächst für sich selbst auf YouTube verantwortlich sein, mehr in die Verantwortung genommen werden. Die Wattebäuschchen seines Vermarkters und YouTube-Netzwerks Mediakraft hätten dabei für ihn so etwas wie der BVB für Marco Reus werden können. Ein Milchglas zwischen sich und der Wirklichkeit. Denn die Realität ist nicht das Leben in einer gecasteten WG in Köln.
Ob ihm rechtlich Ungemach droht ist unklar. IT-Anwalt Christian Solmecke vermutet, dass Unge im Rahmen der Vertragslaufzeit an Mediakraft gebunden bleibt und keine Gründe für eine außerordentliche Kündigung vorliegen, weshalb Unge am Ende mit dem Vermarkter vor Gericht landen könnte. Tatsächlich beschreibt der Fachanwalt die Realität von YouTube-Verträgen mit sogenannten Netzwerken jedoch oft als „sittenwidrig“ und spricht von „Knebelverträgen“.
Community steht zum YouTuber
In jedem Fall hat Unge die Community hinter sich versammelt, auf die er aber in jedem Fall auch angewiesen ist. Andernfalls könnte er vom YouTuben gar nicht leben. Ob er am Ende genauso viel erwirtschaften kann wie mit der Hilfe von Mediakraft, bleibt abzuwarten. Obwohl auf seinem neuen Kanal noch keine Videos zu sehen sind, hat er dort bereits über eine halbe Million Abonnenten.
Unter der offiziellen Stellungnahme Mediakrafts auf Facebook schreibt einer der Nutzer:
„Damit habt ihr Euch selbst ein Tor geschossen… Ich sage Euch: Community ist stärker als jede Rechtskraft der Welt.“
Enrico Busch
Dies ist sicher eine höchst fragwürdige Einstellung, die in unserem Rechtsstaat wenig bis gar nichts zählt. Am Ende wird Unge vielleicht der Uli Hoeneß von YouTube. Für den Vertragsbruch wird er „büßen“ und nach dem Absitzen oder evtl. Abstottern seiner Strafe wird er von der Gemeinschaft wieder Willkommen geheißen. Einen Anwalt hat er sich bereits genommen.
Unreife Fangemeinde
Dass aber die Community im Fall Unges nicht hilfreich ist, musste der YouTuber erst lernen und zwar auf die harte Tour. Trotz Unges Bitte an seine Fans, nicht in Richtung Mediakrafts auszuteilen, wurde von seinen Fans in typischer Shitstorm-Manier ausgekeilt. Dass dabei sogar Morddrohungen geäußert wurden, hat Unge erschreckt, er selbst aber mit seinem ersten Video und der Rede um „Ausbeutung“ und von Mediakraft als einem „Scheißhaufen“ selbst herbeigerufen. Um nun gegenzusteuern, veröffentlichte er gestern auf Facebook einen Podcast, in dem er sich speziell an diejenigen Fans richtet, die auf der „MK Hate-Welle“ schwimmen.
Böhmermann meckert, Fanboys haten zurück
Wahrscheinlich hätte sich das Thema Unge-Exit bei Mediakraft längst erledigt, wäre da nicht Jan Böhmermann (geboren 23.02.1981). Immer wenn ein Thema in den Medien gehyped wird, schaltet sich in letzter Zeit der Satiriker von ZDFneo ein. Dies geschah zuletzt nicht nur mit Pegida, sondern auch Campinos deutscher Variante von Band-Aid-30 und nun eben mit der Aktion „#Freiheit“ von Unge. Dass der Satiriker sich an den Themen abarbeitet, haben die Fanboys Unges jedoch nicht verstanden und interpretieren die Botschaft viel zu wörtlich. Entsprechend sieht sich der Satiriker ebenfalls dem Hass der Fanboys ausgesetzt.
Dabei fing alles harmlos an, indem Böhmermann auf Twitter die Anspielung auf den „Scheißhaufen“ aufnahm. Weil der Satiriker zwar eine kleinere Fangemeinde hat, diese aber deutlich mehr Reichweite erzeugt, nahm das Schicksal seinen Lauf und die Kritik kam bei den Fans von Unge an. Während die Akteure wie Unge und seine YouTube-Kollegen sich nicht darauf einließen, konnte oder wollte sich @dner alias Felix von der Laden (geboren 25.06.1994) nicht auf seinen Internet-Lorbeeren ausruhen und Fans stellten im günstigen Fall sinnfreie Vergleiche an. So wollte @_jolien_12 Böhmermann seine Meinung absprechen, weil er nicht einige tausend Kilometer mit dem Skateboard durch Deutschland gefahren sei. Philosophen debattieren seit tausenden von Jahren darüber, ob man „immer“ eine Meinung haben kann. Die Demokratie als Gesellschaftsentwurf sieht vor, dass man das darf.
@dner wider die Demokratie
Wie Rumpelstilzchen wollte sich dann einer der Mitstreiter von Unge aufführen, der 20-Jährige Felix von der Laden, der bereits 1300 Kilometer auf seinem Longboard an der Seite von Unge „gefressen“ hat. Dieser kam mit einem Totschlagargument daher, sprach Böhmermann die Ahnung ab. Doch Felix musste dann einsehen, dass erst Denken und dann Reden oftmals die klügere Variante ist. Denn Böhmermann musste „von der Laden“ einfach den Spiegel vorhalten, weil dieser öffentlich für die rechtsgerichtete AfD Partei ergriff.
„Ich wähle die Alternative für Deutschland. Die etablieten Parteien haben sich von den Bürgern entfernt.“
Felix von der Laden
Die Fans von Unge und von der Laden hingegen übten sich in Geschichtsvergessenheit und kritisierten Böhmermann dafür, dass er „alte Kamellen“ von vor einem Jahr ausgrub. Letztlich entschied sich @dner aber dann doch dafür, sich ein Jahr nach seiner Aussage wieder von der AfD zu distanzieren, wohl auch, weil einige Fans sich irritiert zeigten durch die rechtsgerichtete Haltung des YouTubers.