Youtube und der Klarnamen-Zwang?

Alexander Trust, den 27. Juli 2012
YouTube IchSpielecc-Kanal
YouTube IchSpielecc-Kanal

Vor ein paar Tagen schrieb Patrick Beuth auf Zeit Online über YouTubes, respektive Googles Versuch, Nutzer dazu anzuhalten, doch ihren richtigen Namen zu verwenden. Beuth selbst konkretisiert das natürlich in seinem Artikel, doch in unserem Zeitalter ist vor allem die Überschrift wichtig.

Journalisten sind dazu angehalten, die 5 W-Fragen im ersten Absatz zu beantworten. Doch viel wichtiger wäre es eigentlich, sie anzuhalten, die Überschrift entsprechend zu formulieren. Nur wer in der Überschrift wirklich Alles sagt, oder eben Nichts weglässt, der ist – meiner Meinung nach – heute auf der sicheren Seite.
Ich gebe zu, dass ich mich selbst nicht an diese Regel halte, oft gewollt. Was nicht bedeutet, dass ich die Unwahrheit schreibe. Es ist dann eher wie bei Beuth, der sich im Weiteren erläutert. Denn von Klarnamen kann nur bedingt die Rede sein. Denn Google möchte von seinen Usern, dass sie ihren Google+-Alias als YouTube-Nickname verwenden, um dort zu kommentieren. Richtig ist, dass viele Leute bei Google+ ihren richtigen Namen angegeben haben. Noch richtiger ist, dass ich zumindest glaube, dass dort nicht wenige eben gerade nicht ihren richtigen Namen angegeben haben.

Beuth selbst schreibt nicht von einem Klarnamen-Zwang, denn es ist tatsächlich keiner. Google stellt es einem zur Wahl, hebt nur die für sich selbst günstigere Lösung farblich hervor, sodass manche Nutzer subtil überredet werden, doch ihren Google+-Alias als YouTube-Kommentar-Nick zu verwenden. Man kann auch weiterhin mit dem YouTube-Nickname agieren.

Scheinargumente

Was mich persönlich wundert, an der Diskussion, ist die Logik, die man bei der Argumentation auf „beiden Seiten“ anwendet. Das betrifft die Diskussion jetzt um YouTube und Klarnamen, das gilt aber auch für alle anderen Netzwerke und deren Versuche vorher.

Zu behaupten, ein Betreiber einer Seite, würde so etwas tun, um die Kommentarkultur aufzuwerten, ist schlicht Nonsens. Umgekehrt aber zu sagen, Klarnamen einzuführen, würde die Kommentarzahl massiv nach unten treiben, ist meines Erachtens ebenso falsch.

Foren regulieren sich selbst

Denn aktive und gesunde Foren, die es zuhauf gibt, sind der beste Beleg dafür, dass sich in einem aktiven Umfeld ganz von selbst eine Maßregelung entwickelt. Die Nutzer, die sich kennen, und über die Zeit kennen lernen, helfen sich gegenseitig und wehren sich gegen Angriffe des schlechten Geschmacks. Dabei ist es ganz egal, ob es um unterstellte Unterschichten-Themen, Rechtsradikalismus, Antifaschismus oder hoch wissenschaftliche Gesprächszirkel geht. Ein Rainer Meyer, der erst StudiVZ und Holtzbrinck heruntergeschrieben hat, ist ein Beleg dafür, wie ein oberflächlich Gebildeter selbst verklausuliert noch aggressiv auf sein Umfeld wirken kann. Er hat Vokabeln gebraucht, die andere nicht kannten, aber er hat dasselbe erzeugt, wie diejenigen, die keine 100 Wörter ohne einen Fehlerquotienten größer 10 Prozent formulieren können.

Zurück zur Netiquette. Damit so ein funktionierendes Ökosystem sich etablieren kann, muss man nur die technischen Bedingungen schaffen. Google hat einige Mechanismen dafür vorgesehen, dass sowohl Kanalbetreiber als auch deren Besucher wertend mit den Kommentaren auseinandersetzen können. Mir geht das aber nicht weit genug. Es gibt Beispiele wie bei ShortNews oder WinFuture, wo das deutlich besser klappt. Wenn Google ein paar mehr Möglichkeiten zur Moderation anböte, und auch eine andere Ansicht für die Kommentare dann könnte sich dort leichter so ein Umfeld etablieren, das sich selbst reguliert.

Anonyme sind nicht aktiver

Google+ ist noch nicht so alt. Doch das Wachstum der Nutzerzahlen ist rasant. Während bei Wikipedia beispielsweise viel anonym hinter Nicknames geschrieben wurde, gab es schon vor Jahren auch Bestrebungen von Leuten, die neben dem Wissen, dem Text, den Videos, den Fotos, Bildern, den „Informationen“, die sie produzieren, gerne ihren Namen lesen wollten. Google+ hat die Suchmaschine insofern gut ergänzt, als es eine Motivation bot, seinen Namen anzugeben, über die Meta-Tags und Rich Snippets seine Blogbeiträge und Webseiten auszustatten mit seinem Profil. Sucht man heute in Google, findet man auch Personen und Avatare. Jedes Suchergebnis für sich kann man in einem abstrakteren Kontext so als Kommentar interpretieren. Ich wollte, und viele andere Inhalte-Produzenten wollten, dass man ihr Gesicht sieht und sie beim Namen findet. Denn wozu macht man das sonst? Wozu gibt man seine Expertise her. Diese Leute können also nicht gemeint sein, wenn die Kritiker sagen, dass bei der Verwendung des eigenen Namens weniger kommentiert wird.

Aber auch im Mikrokosmos, dem was Kommentare im herkömmlichen Verständnis ausmachen, haben wir in den letzten zwei Jahren eine Evolution erlebt. Es gibt z. B. den „Single-Sign-In“, um auf Seiten zu kommentieren. Man kann dazu seinen Facebook-, Twitter-, Google+- oder viele andere Logins nutzen. Manche davon hinterlassen dann den eigenen Klarnamen bei Kommentar-Systemen wie DISQUS.
Die direkte Verbindung in dieser „Evolution“ vom Forum zum „Social“-Kommentar-System besteht ebenfalls, z. B. in der Foren-Software Vanilla, die Forenbeiträge von phpBB und vBulletin importieren kann und in ein solches Social-Kommentar-System à la DISQUS einbringt. Darüber hinaus gibt es viele Webseiten, die sich ausschließlich auf Facebook-Kommentare konzentrieren. Das Springer-Blatt BILD ist so eines. Würde das Argument stimmen, dass Anonymität aktiver machte, dann müsste die BILD-Zeitung bald gar keine Kommentare mehr haben, dann müsste es unter vielen Tech-Blogs schon lange keine Kommentare mehr geben. Das trifft aber nicht zu. Egal ob es um Fauxpas von Prominenten geht oder die Raffgier von Politikern und die Unzulänglichkeiten von Gierhälsen der Gesellschaft. Die Leute sind sich nicht zu schade, mit ihrem Klarnamen zu kommentieren.

YouTube ist kein Untergrund

Das würde auch im Fall von YouTube nicht zutreffen. Denn auf YouTube geht es nicht um Raubkopien, geht es nicht um Pornos oder um Anleitungen zum Kreditkartenbetrug und den Tausch und Handel mit Login-Daten. YouTube ist keine Warez- oder Untergrund-Seite. Warum sollten Leute, die mit ihrem Klarnamen über Politiker auf den Seiten der BILD-Zeitung ätzen, warum sollten diese dann auf einmal YouTube meiden? Auf YouTube gibt es Beiträge von Inhalte-Produzenten, gibt es Musik-Videos, gibt es Reviews von Produkten und Podcasts.

Die Einen gehen, die Anderen werden kommen

Ich sage übrigens nicht, dass die Schnittmenge am Ende gleich groß sein wird, oder größer. Ich behaupte nur, dass sie nicht signifikant kleiner sein wird. Darüber hinaus kann man aber feststellen, dass sicherlich zu einem anderen Teil dann nicht dieselben Leute kommentieren werden, wie vorher. Aber für diejenigen, die das partout als Gängelung empfinden, wird es andere geben, die das als Einladung sehen. Entsprechend kann ich auch Kommentare unter Beuths Beitrag nicht unterstützen, in denen es heißt, Google würde sich damit in wirtschaftlicher Sicht schaden.


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