Angebotstsunami: wenn Schnäppchen ihren Reiz verlieren
Alexander Trust, den 5. Juli 2011Was ich nachfolgend versuchen möchte zu beschreiben, ist ein Paradox. Angebote, Schnäppchen, reduzierte Ware im App Store, für iPhone, iPod touch, iPad, aber auch auf dem Mac gibt es eine noch junge Tradition, die an dem Fundament der Freude gräbt, sich über Angebote zu freuen.
Ist-Zustand
Auf Steam läuft gerade der Summer Camp Sale mit teils irrwitzigen Rabatten von bis zu 90 Prozent auf den ursprünglichen Kaufpreis. Man muss sich fragen, warum das überhaupt möglich ist, wenn doch anfangs PC- und Videospiele für 30 bis 60 Euro angeboten werden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass mancher Repräsentant von Videospielfirmen die Preisstruktur von App Store und Co. als maliziös beschreibt. So geschehen zuletzt durch THQs Vizepräsidenten, der behauptet, man könne mit Pfennigspielen auf Smartphones kein Geld machen und deshalb Tablets als sein und das Heil seiner Firma auserkor.
Doch gerade die App Stores dieser Welt haben ein Phänomen unserer Zeit entstehen lassen: die Angebotstsunamis. An Thanksgiving, jetzt zum vierten Juli (Unabhängigkeitstag), am „Schwarzen Freitag“, vor den „Feiertagen“ (alias Weihnachten), zu Ostern… wenn man sich Gedanken darüber macht, wann es eigentlich Angebote im App Store gibt, wird man mit einer Fleißaufgabe konfrontiert. Man hat das Gefühl, dass es fast täglich neue Angebote gibt – und die gibt es tatsächlich. Doch warum?
Haltbarkeit
Wenn man im „realen“ Leben einen Sommer- oder Winterschlussverkauf macht, dann, weil man seine Lager räumen möchte, um nicht auf der Ware sitzen zu bleiben. Supermärkte bieten zum Wochenende verderbliche Lebensmittel günstiger an, um nicht zu viel wegzuwerfen, ohne dafür einen Gegenwert zu erhalten. Besser weniger Einnahmen damit generieren als gar keine. Auf Trödelmärkten kann man, kurz bevor die Trödler zusammenpacken, oft noch ein Schnäppchen ergattern, weil die Händler lieber mit weniger Gepäck wieder zurückfahren, und ihren „Pröttel“ nicht unbedingt wieder mitnehmen wollen.
Nachwachsende Downloads
Im Zeitalter von App Stores und digitalen Softwaredownloads gibt es keine begrenzten Stückzahlen mehr. Da gibt es eigentlich das Korrektiv von Angebot und Nachfrage im klassischen Sinn nicht mehr. Denn das Angebot wird immer größer. Im ständig wachsenden Katalog von iTunes aufzufallen ist nicht einfach. Doch nicht nur im App Store gibt es ein Plus an Angebot. Kataloge von digitalen Downloads werden immer größer und „neue“ Spiele müssen sich teilweise erst einmal gegen ältere Ware durchsetzen. Durch die teilweise Neu- oder Nachveröffentlichung von digitalen Downloads von Klassikern, die es vorher nur „im Laden“ zu kaufen gab, konkurrieren zehntausende prominente Titel um die Gunst der Käufer – es werden jeden Tag mehr.
Mittel zum Zweck: Angebot
Also muss man sich etwas einfallen lassen, um die potenziellen Käufer anzulocken. Der schnellste Weg zum Ziel sind sicherlich Angebote. Während dies kurzfristig einen Effekt erzielt, macht man sich den Kunden nicht dauerhaft zum Freund. Im Gegenteil, es häufen sich Kommentare von verärgerten Kunden, die von der ganzen Szenerie genervt sind. Heute gibt es Angebote, morgen nicht, übermorgen dann wieder. Es ist verständlich, wenn Kunden sich ärgern, wenn sie ein Spiel zum Preis von 5 Euro gekauft haben, das anderntags Leute für einen Appel und ein Ei kaufen können.
Allerdings ist eines ziemlich sicher, diese Angebote nutzen sich ab. Je öfter es Angebote gibt, desto weniger reizvoll werden sie für Kunden sein, und wir Journalisten sind ebenfalls genervt von den Angebotstsunamis. Der Nachrichtengehalt solcher Meldungen ist gering – zugegeben das Potenzial etwas zu verdienen etwas größer. Nur mir persönlich vergeht die Lust daran, Linklisten mit knappen Angebotsbeschreibungen zu veröffentlichen.
Nicht nachhaltig
Allein im letzten halben Jahr gab es etliche Angebotsperioden, bei denen ich „fast immer“ die Meldung von vor 2, 3 Wochen einfach hätte kopieren können. Besonders als Triebfeder fallen die Preisgefechte zwischen zwei Protagonisten auf, die teils willkürlich vorgenommen werden. Sie produzieren eines nicht: Nachhaltigkeit. Händler wie Electronic Arts und Gameloft machen sich mittelfristig ihren eigenen Markt kaputt. Wenn es EA in den Sinn kommt aus Gründen des Patriotismus ein Angebot auszuloben, ziehen die Franzosen von Gameloft nach. Wenn Gameloft zu Halloween vorprescht, hat EA sowieso vorgehabt, seine Spiele im Preis abzusenken. Doch es gibt auch Anlässe, an denen diese beiden „Big Player“ im App Store zu überraschenden Momenten die Preise reduzieren – einfach so, weil man in der Lage dazu ist, und eventuell am Ende den App Store nur als Abschreibungsposten missbraucht.
Es ist jedenfalls sehr augenfällig, wie diese beiden Akteure im App Store nie ohne den anderen eine Preissenkung vornehmen. Man kann es sich beinahe nicht leisten, keine Schnäppchen anzubieten, wenn doch der größte Konkurrent „wahrscheinlich“ ebenfalls welche anbieten wird. In der Spieltheorie wird eine derartige Situation als „Gefangenendilemma“ mit einem Fachterminus bezeichnet. Wenn man das allerdings weiß, oder sich zumindest vergegenwärtigt, könnte man seine Handlungsstrategien danach ausrichten. EA und Gameloft müssten sich nicht ständig unterbieten – niemand zwingt sie dazu.
Free-App-a-Day
Es gibt nicht nur Preissuchmaschinen, sondern es gibt Schnäppchenblogs, solche Seiten, die man, wenn sie sich inhaltlich mit etwas auseinandersetzen würden, einen „Watchblog“ schimpft. Solche Seiten schreiben stündlich über neue Angebote und irgendwie geht einem ein Licht auf, dass dort entweder etwas ganz gehörig schiefläuft, wenn man jeden Tag mit noch größeren und noch tolleren Angeboten konfrontiert wird. Oder aber die Konsumenten sind schon zuvor auf den Leim gegangen, weil eine Preismarge veranschlagt wurde, die nachweislich als astronomisch überteuert gelten müsste.
Sind Entwickler Masochisten, weil sie sich unter Wert verkaufen oder einfach nur Menschenfreunde, Philanthrope? Dem Ganzen die Krone aufsetzen tun Aktionen wie MacHeist, Free-App-a-Day und Co. Dort wird besonders augenfällig, zu welchem Preis es eigentlich möglich gewesen wäre Software anzubieten. Allerdings hoffen Entwickler ja, durch besonders viele Verkäufe auch einen Teil der Entwicklungskosten trotzdem wieder reinzuholen. Spaß macht das wahrscheinlich demnächst weder den Entwicklern noch den Käufern.
Ärger
Aktionen, bei denen es jeden Tag eine App kostenlos gibt, kommen in Mode. Diese erzeugen kurzfristig eine Menge Aufmerksamkeit und können positive Publicity bedeuten. Dazu werden die Downloadzahlen von Apps gepusht. Am Tag danach ist die App in den Charts und wird von anderen Kunden gekauft, die sich an den Plätzen in den Rankings orientieren und davon beeinflussen oder gar beeindrucken lassen.
Doch diese Situation kann genauso gut in Ärger enden. Dann nämlich, wenn der Unterschied zwischen dem Angebotspreis und dem ursprünglichen Preis recht groß ausfällt und die Kunden sich auf den Arm genommen fühlen, die die App zum regulären Preis gekauft haben. Das liegt nicht so sehr in der Natur der Sache. Jeder ärgert sich vielleicht ein wenig, manche mehr, andere weniger, wenn sie merken, dass sie etwas „billiger“ hätten haben können.
Doch die ständig wiederkehrenden Angebote ziehen den Kunden, die die App zum regulären Preis erworben haben, regelmäßig die Nase lang. Muss das sein? Ist das fair? Es ist der Markt. Aber ob es dem Markt guttut, wage ich zu bezweifeln. Pervers wird es dann, wenn die Legitimation für Angebote rein willkürlicher Natur ist. Vor ein paar Wochen war der Sommerbeginn der Grund für Preisnachlässe, demnächst wird es Sonderangebote geben, weil wir an einem Tag die höchste oder tiefste Temperatur, den meisten Niederschlag, oder, oder erlebt haben.
Exkurs: der App-Shopper
Heute kaufen Schnäppchenjäger alles, der moderne Smartphone-Besitzer wird mittelfristig zum App-Sammler. Langfristig wird sich meiner Meinung nach ein wenig Ernüchterung einstellen, weil es immer so ist, wenn der Markt mit Produkten überflutet wird und die Konsumenten sich sattsehen. Sicherlich ist das Kaufverhalten noch nicht ganz so ausgeprägt, aber es macht einfach Laune für 79 Cent ein Mal auf den Kaufen-Button zu tippen, klicken oder wie auch immer und dann hat man am Ende vielleicht fünf anstatt nur einem Schnäppchen im Warenkorb.
Dies gilt übrigens für Frauen und Männer gleichermaßen, da sich in puncto Geschlechterverteilung auf den Smartphones das Verhältnis nahezu die Waage hält. Die männlichen Besitzer von Smartphones sind derzeit noch leicht in der Überzahl (55 gegenüber 45 Prozent). Beim iPad trifft man ein nahezu identisches Verhältnis an. Analog dazu kann man die Situation auf Geräten anderer Firmen beschreiben, allerdings ist mit Sicherheit der „Fetisch“ bei Android und Co. nicht derart ausgeprägt, zudem es speziell auf Android-Systemen eine fundiertere Kultur von werbefinanzierten Apps gibt.
Ausblick
Es ist sicherlich problematisch Prognosen auszusprechen, die auf ständig wechselnden Bedingungen fußen und mir ist klar, dass ich an dieser Stelle ein eher negatives Bild zeichne; es gibt eine Tendenz, dass Software (in den App Stores) mittelfristig billiger wird. Es gibt aber auch Indizien, dass die Konsumenten die Angebote demnächst Leid sein werden.
Wir steuern derzeit mit diesem Schiff, mit dieser Apple-Arche auf den Zenit eines Fetisch zu. Irgendwann ist selbst dort mal ein Höhepunkt erreicht und die Nachfrage an Hardware gesättigt. Das kann in ein paar Monaten sein, wahrscheinlicher aber erst in ein paar Jahren. Doch wenn wir diesen Punkt erreichen, dann wird gleichzeitig der Wunsch nach Konsum wieder zurückgefahren werden und die Software-Branche wird das schmerzlich erfahren. Denn dann werden die Kunden merken, dass es zu wenig Innovation gegeben hat und man sich ausschließlich auf Augenwischerei in Form von Angeboten verlassen hat. Die Branche aber hätte es heute schon wissen können, wenn sie die Folgen ihrer Angebotstsunamis genauer analysieren würde.