Need for Speed: Shift im Test: die Kohlen aus dem Feuer geholt
Stefan Keller, den 25. September 2009Die letzten Jahre konnten sich Fans der NFS-Reihe tatsächlich fragen, ob die Realsatire seitens EA so geplant war oder nicht. Doch dieses Jahr sollte alles besser werden, sogar das Entwicklerstudio wurde ausgetauscht. Ob dieser radikale Schritt das dringend benötigte Wunder herbeigeführt hat, finden wir heraus.
OK, eigentlich war es nicht einmal so wirklich das Setting selbst, das speziell NfS: Undercover so schrecklich schlecht hat aussehen lassen. Selbiges Szenario hat bei Most Wanted etwa grandios funktioniert. Dennoch hat man sich bei EA respektive Slightly Mad Studios von illegalen Straßenrennen getrennt. Als Rennfahrer geht es nun hoch hinauf auf der Karriereleiter, doch das nötige Kleingeld muss sich erst erfahren werden, weshalb man ganz unten beginnt. Apropos Vergangenheit hinter sich lassen: Dies betrifft nicht nur den Aufhänger der Karriere, sondern gleichermaßen die Rennstrecken. Statt einer fiktiven Stadt, bzw. in ProStreet ausgedachten Strecken, fahrt ihr überwiegend auf lizenzierten Nachbildungen real existierender Kurse.
Auf geht’s mit Gebrüll
Die Karriere, seit eh und je das Hauptaugenmerk bei Need for Speed, beginnt mit einem Testrennen, um „das optimale Setup zu finden“. Was das Spiel zunächst verheimlicht, ist, dass zu Beginn der angehende Rennprofi ins eiskalte Wasser geworfen wird. Bei der vermeintlichen Testfahrt sind jegliche Fahrhilfen ausgeschaltet – und eigentlich will das Spiel auch nur herausfinden, wie stark Fahrhilfen beim Rennen helfen sollen. Besonders beim ersten Karrierestart ist diese hinterlistige Falle gleichermaßen Fluch und Segen: Einerseits ist die Idee eine sehr nette, jedoch andererseits verfälschen anfängliche Ausrutscher, die bei der Gewöhnungsphase an die Fahrphysik völlig normal sind, die Werte. Da wir euch jetzt jedoch den Trick verraten haben, könnt ihr in Ruhe eure Runde abfahren und anschließend guten Gewissens die Schwierigkeitsstufe einen Gang oder gar zwei nach oben schrauben.
In der Karriere geht es darum, als kleiner Fisch an immer höher dotierten Rennen teilzunehmen und nach Möglichkeit gut dabei auszusehen. Das Fernziel ist die Teilnahme an Events in der „NFS World Tour“. Bis dahin müssen jedoch in fünf Unterkategorien Punkte gesammelt werden.
Physik neu definiert
Es klang bereits an, dass die Herrschaften an den Tastaturen der Entwicklungsplattformen das eine oder andere Feature grundlegend überholt haben. Dazu zählt unter anderem die Fahrphysik. Während der NFS-Serie bisher ihre Arcadelastigkeit aus jedem Knopfloch schaute, versucht Shift in Richtung Simulation zu gehen. Den NFS-Spieler, dem die Serie „sowieso schon immer zu leicht“ war, wird es freuen, jedoch merken Fans von waschechten Simulationen wie Forza oder Gran Tourismo, dass EA bei allen revolutionären Visionen noch immer die alte NFS-Zielgruppe im Blick hat. Viel zu oft wurden Kompromisse eingegangen. Ein Beispiel, dass jedem nach relativ kurzer Zeit selbst auffallen dürfte, ist das Überfahren von Rasen. Sobald das erste Rad auch für noch kurze Zeit den Asphalt verlässt, fängt der Wagen an zu driften. Ein anderer Punkt ist das Schadensmodell. Dieses ist zwar vorhanden, doch haben wir es selbst innerhalb der Serie schon ausgeprägter gesehen. Neben Blechschäden hat es kaum etwas Brauchbares vorzuweisen. Das einzige, das wir ausmachen konnten, waren Dralls in eine bestimmte Richtung (allerdings erst nach zahlreichen Feindberührungen) sowie eine geringfügig verringerte Motorleistung.
Alles in allem kann man die neue Physik aber nur loben. Mit den Drifteinlagen bei Rasenkontakt kann man leben und ansonsten bietet die Engine eine wesentlich realistischere Steuerung der Autos. Mit dem Schwierigkeitsgrad kann man selbige jedoch so weit herunterdrehen, dass ein Spiel auf Undercover-Niveau übrig bleibt – was sich ausdrücklich auf die Steuerung und nicht auf die Technik bezieht.
Was fast schon traditionell weniger gut gelungen ist, ist die Steuerung beim Driften. Diese ist derart schwammig, dass man jedes Mal froh ist, wenn ein Driftrennen vorbei ist. Glücklicherweise müssen nicht allzu viele davon absolviert werden, um in der World Tour mitfahren zu dürfen.
Hochmotiviert
Wenn es schon keine flache Story à la Undercover gibt, muss der Spieler anderweitig bei Laune gehalten werden. Hierfür hat Slightly Mad dem aktuellen NFS-Teil eine permanente Fahr-Analyse gegönnt. Der Telemetrieauswertung entgeht nichts. Permanent steht der Spieler unter Beobachtung, wie er sich auf der Strecke verhält. Dabei werden Punkte verteilt in den Kategorien „Präzision“ und „Aggression“. Präzisionspunkte werden für besonders vorbildliche Aktionen gesammelt, etwa bei Überholvorgängen ohne Kontakt des Gegners. Aggressionspunkte gibt es für „riskante“ Manöver. Hierzu zählt etwa das Überholen durch Rammen des Vordermanns. Am Ende des Rennens werden beide Arten der Punkte gegeneinander aufgewichtet und der dominantere Teil der beiden bestimmt, wie das Spielerprofil weiter aufgebaut wird. Für saubere Aktionen – allerdings teilweise auch für rüpelhafte – gibt es Belohnungen. Beispielsweise winkt eine Gehaltserhöhung beim Sponsor, wenn eine Strecke „perfekt“ gefahren wurde, also alle Kurven optimal passiert wurden. Solche Belohnungen kann sich der Spieler ebenfalls dann abholen, wenn er das Rennen nicht gewinnt. Dieses Verhalten motiviert ungemein und treibt die Karriere flott voran, weil sich relativ schnell das „nur noch ein Rennen“-Gefühl einstellt.
Chronischer Geldmangel
Mal wieder – muss man sagen – herrscht in der NFS-Serie Geldmangel, und das zu fast jedem Zeitpunkt. Die Belohnungen pro Rennsieg sind so knapp bemessen, dass ihr mit der Karriere allein kaum in der Lage seid, all eure Boliden auf dem neusten Stand zu halten. Die Lösung klingt beinahe trivial: Rennen fahren und möglichst weit vorn ankommen. Wer das jedoch nicht möchte, hat auf den Konsolen die Möglichkeit, gegen echtes Geld, etwa in Form von Microsoft-Points, Waren zu kaufen, wie zum Beispiel Autos. Notwendig ist es allerdings nicht, außer dass man für die gleiche Karre weniger Rennen fahren muss, hat man keinen Vorteil durch eine Bezahlung mit echtem Geld. Jedoch kann man ebenso seine Brötchen in fremden Wagen verdienen. Bei den Werksrennen lassen Autohersteller ihre Boliden gegeneinander antreten. Der Spieler muss nur noch ein Cockpit besetzen und schon geht es los.
Ebenfalls in die Kategorie „wenn ich mal das Geld dazu habe, dann …“ fallen die meisten Einladungsrennen. Zu ihnen bekommt Zugang, wer sich auf der Strecke gut anstellt. Jedoch ist der Schwierigkeitsgrad stets eine Stufe höher angesiedelt als der eigene. So kann man ein solches Rennen allenfalls gewinnen, wenn man extrem sauber und dabei am äußersten Limit fährt. Einfacher wird’s, wenn ihr die Einladung erst nach Erreichen der nächst höheren Stufe annehmt.
Durch Tuning zum Sieg
NFS kann einfach nicht aus seiner Haut entwachsen; Tuning gehört einfach dazu. Auch wenn wir selbiges schon stärker ausgeprägt gesehen haben, ist es dennoch nicht von ganz schlechten Eltern. Neben bis zu drei Tuningstufen findet sich der „Werksumbau“, der laut Beschreibung die „normalen Tuningmaßnahmen“ alt aussehen lässt. Dieser ist der teuerste und setzt die Investition in alle vorherigen Stufen voraus. Für Feinmotoriker gibt es zudem ein paar nette Feintuning-Optionen, etwa den maximalen Lenkeinschlag. Jedoch vermissen wir das Autosculp-Feature etwas, das uns eine stufenlose Anpassung von Karosseriebestandteilen ermöglichte.
Ein Augenschmaus
Seit langem müssen wir EA für die Optik in einem NFS-Titel loben. Nach der katastrophalen Präsentation in Undercover, bietet Shift eine hervorragend aussehende Grafik, die so ziemlich alle Facetten des Tageslichts perfekt auf dem heimischen Bildschirm umsetzt. Die Slightly Mad Studios haben an alles gedacht: Der Rauch beim Durchdrehen der Räder ist dicht und hält lang an, selbst der berühmte Tunnelblick bei hohem Tempo wird eingefangen. So sieht der Spieler ausschließlich das tatsächlich scharf, was sich unmittelbar vor ihm abspielt. Zum ersten Mal seit Langem können wir NFS eine absolut konkurrenzfähige Grafik attestieren – diesmal sogar ohne irgendwelche Abstriche machen zu müssen, „The Madness Engine“ sei dank.
Standardmäßig finden Rennen aus dem Cockpit statt. Diese Perspektive hat uns ganz besonders gut gefallen, weil sie ziemlich realitätsnah ist. Der Spieler sieht seine Arme und kann seine Aktivitäten, wie Schalten, Bremsen oder Gas geben, genau verfolgen (wobei er dafür im Rennen keine Zeit hat). Besonders beeindruckend dabei ist, dass EA jedes Armaturenbrett der verfügbaren Wagen implementiert hat.
Die Cockpit-Perspektive bietet dazu ein weiteres Highlight: Man hört seine eigenen Lebensgeräusche in brenzligen Situationen. Nach einem starken Aufprall wird das Bild kurz schwarz-weiß, statt Geräuschen kommt nur noch ein Pfeiffen, die Atmung fällt schwerer und der Herzschlag steigt hörbar an.
Auf die Ohren
Gewohnt gut präsentiert sich die Akustik. Auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen, die Autos klingen realistisch und – eine gute Beschallung vorausgesetzt – erzeugen einen authentischen Klang. Hintergrundmusik existiert ebenfalls wieder, jedoch ist NFS nicht mehr so musikbetont wie frühere Teile der Serie. Durch den Anspruch, eher in Richtung Realismus zu gehen, geht dies jedoch in Ordnung.
Magerer Multiplayer
Ein Mehrspielermodus existiert in Need for Speed: Shift, jedoch ist dieser eher bescheiden ausgefallen. Als Rennmodi stehen Zeitfahren, Drift und Standardrennen zur Verfügung. Die Renntypen lassen sich entweder aus Spaß an der Freude fahren oder als Ranglistenturniere. Was wir nicht finden, sind das Fahren im LAN sowie Variationen der Standardrennen, etwa Runden-K.O. Bis zu 8 Spieler dürfen sich auf der Strecke die Klinke in die Hand geben – nur halb so viele wie im Offline-Modus. Dafür sollen mit dieser Einschränkung die fast schon notorischen NfS-Lags eingeschränkt werden. Das klappt ganz gut, auch wenn uns trotzdem hin und wieder kleine Hänger untergekommen sind. Sollte es dazu kommen, dass sich nicht genügend menschliche Gegner finden, erbarmt sich die CPU dazu, die fehlenden Teilnehmer zu ergänzen – das finden wir eine gute Idee.
Fazit
Wer hätte das gedacht… Need For Speed erholt sich tatsächlich wieder aus seiner Serie der Tiefpunkte. Mit Need for Speed: Shift ist ein richtig guter Racer erschienen, der sich anschickt, den einst so guten Namen wieder mit einem ordentlichen Ruf zu versehen. Dies klappt zweifelsohne. Zwar ist Shift nicht in allen Belangen perfekt, doch als Need-for-Speed-Spieler ist beinahe alles, was nicht ruckelt, ein Fortschritt. Shift muss sich auf jeden Fall nicht vor der Konkurrenz verstecken – wem Simulationen wie Forza oder Gran Tourismo zu schwer sind, der kann bedenkenlos zugreifen.