Test: Virtua Tennis 2009 – Shanghai Noon
Alexander Trust, den 2. Juni 2009Anders als Electronic Arts, hat SEGA seine Tennissimulation Virtua Tennis nicht jedes Jahr neu aufgelegt. Nach einem Jahr Pause gibt es nun aber eine aufgefrischte Fassung, die den Konkurrenzkampf mit 2Ksports Top Spin 3 aus dem Vorjahr aufnimmt. In unserm Review haben wir das Spiel für die PlayStation 3 unter die Lupe genommen.
Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, der wird irgendwann nicht mehr die Früchte des Erfolges ernten können. SEGAs neueste Variante von Virtua Tennis, die zum ersten Mal mit einer Jahreszahl im Titel aufwartet, hat in Sachen Gameplay viele Detailverbesserungen erlebt.
Grenzenlos geradlinig
2K Sports hat im letzten Jahr eine grundsätzliche Veränderung im Bereich der Steuerung bei Tennisspielen vorgenommen (vgl. Top Spin 3 Review). Geschlagen wurde nun nicht mehr unmittelbar auf Knopfdruck, sondern erst beim Loslassen desselben. Ganz so wagemutig war man bei SEGA nicht. Indes hat man sehr viel Feinarbeit geleistet und damit das Tennisspiel wieder ein Stück realistischer werden lassen.
Ob mit dem linken Analogstick oder dem Digikreuz, wir können als Spieler die Richtung unserer Schläge durchaus sehr sensibel manipulieren. Und zudem entscheidet die Länge des Knopfdrucks über die Härte des Schlags. Weil dabei die Animationen der Spielfiguren sehr abwechslungsreich gestaltet sind, dürfen wir uns auf relativ realistisch anmutende Ballwechsel freuen.
Beschränktes Figurenset
Die Freude über butterweiche Bewegungsabläufe wird aber sehr schnell getrübt durch ein zu enges Charaktermodell. Als Vorlage diente wohl ein Nordeuropäer mit länglichem, ovalen Gesicht. Unseren eigenen Tennisspieler entwerfen wir anhand eines Grundmodells. Bei diesem verändern wir dann wie in anderen Spielen ebenfalls üblich, Haut- und Haarfarbe, Sitz des Kinns, der Nase, usf. Ich habe noch nie eine Spielfigur erstellen müssen, die mir so wenig ähnlich sieht. Das liegt daran, dass ich selbst ein eher kleines und kantiges Gesicht habe und dieses nicht so gut mit dem Figurenmodell von Virtua Tennis 2009 zusammengehen mag. Dementsprechend wirkte mein späterer Charakter wie einer von vielen. Ganz besonders auffallen tut dieser Umstand bei Rassenunterschieden. Ein Tennisspieler aus Afrika oder Asien oder Indien wirkt den Umständen entsprechend wie eine Karikatur.
Viele Kleinigkeiten
Nehmen wir den Makel am Figurenset zum Ausgangspunkt, um uns über viele Probleme im Detail auszulassen. Letztes Jahr um diese Zeit, schien die SEGA-Welt für mich in Ordnung. Valkyria Chronicles zog seine Schatten voraus, viele solide Titel waren bereits veröffentlicht. Doch dann folgte ein Problemkind dem nächsten. Schwierigkeiten mit Steam (Empire Total War) machten selbst aus Topspielen für Ungeduldige ein Ärgernis. Stormrise sollte die Echtzeitstrategie auf den Konsolen revolutionieren und wurde ein Griff ins Klo.
Und Virtua Tennis 2009? Der Titel macht sich das Leben selbst schwer. Es gibt positive und negative Kleinigkeiten, die auffallen. Manch langes Gesicht wird in der Profilansicht oben abgeschnitten, dahingegen zum Beispiel Uhrzeit und Punkte in den Displays der Tennisplätze angezeigt.
Umgebung im Nebel
Wenn man sich die Sportspiele von heute anguckt, stellt man schnell fest, dass sie zwar das eigentliche Spielgeschehen gut darstellen, den Rest jedoch vernachlässigen. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Das ist auch bei Virtua Tennis 2009 so. Nur kann man kaum davon sprechen, dass die Grafik der Spielfiguren an die Qualität von zum Beispiel dem neusten Fight Night heranreicht. Entsprechend blass wirken die Figuren in der näheren Umgebung.
Um diesen Umstand zu kaschieren, hüllt man die Umgebungsgrafik buchstäblich in einen Schleier. Der Spieler und der Tennisplatz werden fokussiert, der Rest wird milchig, mit einem weichen Nebel belegt und so gerade aus dem Fokus gerückt. Wer aber genau hinsieht, wird sich ziemlich erschrecken. Grobe Figurenmodelle von z. B. den Balljungen sorgen dafür dass zwei Finger schon mal ausschauen wie eine ganze Hand.
Übersetzungsschwierigkeiten
Wer ein richtiger Tennisspieler werden will, müht sich durch die Strapazen des Karrieremodus. Dieser offenbart jedoch neben technischen Problemen (dazu gleich mehr) noch Schwierigkeiten bei der Lokalisation.
„Hallo! Mein Name ist Dinesh Kumar und ich würde gern ein Übungsmatch gegen Sie spielen. Wie ich höre, sind Sie sehr talentiert, also würde ich Sie gern in Woche Tokio in 20 für ein Match treffen.“
Dinesh Kumar, NPC in Virtua Tennis 2009
Der zweite Satz offenbart, dass man es hier mit Textbausteinen zu tun hat, die falsch zusammengesetzt wurden. Dies ist jedoch ein ständig wiederkehrender Fehler. Im Karrieremodus melden sich über die Wochen einer Saison immer wieder Spieler bei uns, die uns zu einem Probespiel einladen. Wenn wir das Match bestritten haben, können wir anschließend mit Dinesh und Konsorten im Doppel antreten. Solche Übungsmatches überlagern sich zeitlich schon mal mit den gleichzeitig stattfindenden Turnieren.
Boris aus dem Hut gezaubert
Der Karrieremodus findet auf dem Globus statt. Wir haben die Möglichkeit über einen virtuellen Erdball zu manövrieren und einzelne Turniere auszuwählen, uns in einem Shop neu auszustatten oder im eigenen Haus auszuruhen. Denn wir verlieren von Spiel zu Spiel an Kondition und müssen irgendwann regenerieren. Kostenlos geht’s daheim von einer Woche auf die andere. Sofort mit einem Energiegetränkt und für etwas mehr Geld kann man 2 Wochen im Urlaub entspannen. So weit, so gut.
Wäre da nicht die Onlinekomponente im Karrieremodus, die technisch unausgereift ist und einen riesigen Bug bereithält. Zum einen klappt das Matching absolut nicht. D. h. mir als Spieler werden Gegner zugelost, die mich über den Platz scheuchen und mir den Spaß am Spiel verderben. Gleichzeitig kann ich jederzeit aus dem Spiel aussteigen und verursache damit einen Fehler in der Synchronisation der lokalen und globalen Datenbank. So zumindest meine Interpretation. Denn nach dem vorzeitigen Ausstieg aus einem Onlinematch komme ich als X wieder zurück. Schon im darauffolgenden Match bin ich erschrocken, weil meine Spielfigur absolut nicht mehr nach dem ausgesehen hat, das ich zuvor in mühsamer Einstellarbeit ausgewählt hatte. 2 Zentimeter kleiner, 5 Kilo leichter, eine ganz andere Haarfarbe. Der Fehler tritt immer wieder auf und ich bin von einer dieser Onlinepartien schon mal als Boris Becker wieder nach Hause zurück gekehrt. Amüsant ist einzig, dass in den Arcade-Übungsspielen (Blockbuster, Kaufrausch, Schiffe versenken) immer noch mein ursprünglicher Spieler gezeigt wird. In den Turnieren laufe ich jedoch als ein Fremder herum.
Was heißt verkleiden?
Ein Mal im Jahr wird zudem ein Benefizturnier angeboten. Voraussetzung zur Teilnahme ist das Verkleiden. Im Shop wurde beispielsweise ein Perserhut mit Bommel angeboten, dazu noch eine schicke Sonnenbrille und ich dachte, ich sei verkleidet. Falsch gedacht. Das Spiel akzeptiert dieses Ausstattungsgegenstände nicht als Verkleidung. – Wenn man außerdem kurz vor dem Benefizturnier das zuvor beschriebene Prozedere mit einer Onlinepartie durchläuft, bringt man die PlayStation 3 dann gleich zum Absturz. Denn natürlich können die Daten eines virtuellen Boris Becker nicht mehr mit denen meines eigentlichen Charakters gegenkontroliert werden und so läuft der Check ins Leere. Technisch wird wohl ein Speicherüberlauf erzeugt. – Als Randnotiz kann ich dann gleich festhalten, dass die Zuordnung von Bezeichnungen und Bildern im Shop nicht übereinstimmt. Beispielsweise findet sich unter dem Bild einer eindeutig grünen Sonnenbrille das Etikett „goldene Sonnenbrille“ oder bei einer roten heißt es blau, usw.
Trainingsspiele
Trainingsspielchen, wie die zuvor erwähnten Blockbuster, Kaufrausch und Schiffe versenken gab es ähnlich bereits im Vorgänger. Jedes einzelne der Spiele ermöglicht die Ausbildung von Fähigkeiten bei der eigenen Spielfigur. Beinarbeit und Ausdauer sind zwei davon. Während man bei Kaufrausch Bällen ausweicht und gleichzeitig aufpoppende Gegenstände einsammeln muss, kommt es beim Schiffe versenken darauf an, den Bomben auszuweichen, aber die Bälle zurück zu schlagen. Und zwar so, dass man die Piratenschiffe trifft. 2 Treffer mit einem Tennisball genügen, um ein Schiff zu versenken. Blockbuster ist eine Art Tennis-Tetris. Wir schlagen mit dem Ball vor eine Ansammlung von bunten Steinen und müssen für jeden Level aufs Neue eine vorgegebene Punktzahl erreichen. Alle drei Spiele verlieren aber nach kurzer Zeit ihren Reiz.
Shanghai Noon
Das ist dann allerdings nur ein Manko unter vielen. Der Turniermodus ist nämlich wesentlich zu lang. 46 Wochen hat eine Saison und wir müssen sehr viele 2-Satz-Matches im Einzel und später auch im Doppel bestreiten, um in der Rangliste aufzusteigen. Von anfangs Platz 100 wollen wir die Nummer 1 der Amateur-Klasse werden. Es sind bald 3 Saisons notwendig, damit wir überhaupt an dieses Vorhaben denken können.
SEGA hat es nicht verstanden, den Weg bis dahin ausreichend interessant zu gestalten. Lange Zeit langweilt man sich sprichwörtlich zu Tode. Denn die Spiele mit Gegnern jenseits… – Ich muss diesen Satz neu formulieren, weil es überhaupt nicht auf die Platzierung der Gegner ankommt, sondern vielmehr auf die eigene. Ehe ich nicht unter die Top 50 der Amateurspieler vorgedrungen bin, kann ich den Karrieremodus mit Hilfe von Buttonmashing und dem Handicap einer Augenbinde über mich ergehen lassen. Jedes Spiel lässt sich von der Grundlinie aus mit einfachem Serve and Volley gewinnen. Verlieren ist bis dahin ausgeschlossen. Und dann? Ja dann kommt das Turnier in Shanghai, an dem man erst als Top 50-Spieler teilnehmen darf. Dann werden diejenigen, die nicht gemerkt haben, dass sie gar nicht so gut sind, ihr blaues Wunder erleben. Der Schwierigkeitsgrad steigt dramatisch an. Hier hat SEGA absolut keine gute Ballance gefunden.
Unter ferner liefen
Es gibt natürlich noch die Möglichkeit, Einzelspiele oder solche im Doppel auszuführen, auch außerhalb des Karrieremodus. Onlinespiele sind ebenfalls möglich. Allerdings sind die Spiele mit oder gegen menschliche Gegner dem Onlinespiel vorzuziehen. Es sei denn, man hat seinen Charakter bereits super trainiert und mit hochwertigen Schlägern ausgestattet, die ein noch genaueres Schlagen erlauben. Das würde aber einschließen, dass man als Spieler sowieso ein Überflieger ist, und das gelingt wahrscheinlich nur einer kleinen Anzahl von uns Konsoleros.
Fazit
Virtua Tennis 2009 lehrt uns 3 Dinge: Zum 1sten, dass beim Tennis offenbar alle gleich aussehen. Zum 2ten, dass Virtua Tennis eben doch nicht Fifa Soccer ist. Und zum 3ten, dass man beim Videospielen ohne Weiteres Gewicht verlieren kann, wenn die eigene Spielfigur wegen eines groben technischen Fehlers auf einmal gegen eine andere ausgetauscht wird.
Virtua Tennis 2009 zeigt in Sachen Steuerung und Gameplay gut Ansätze. Besonders die wirkliche Vielfalt an Schlägen und die sensible Mechanik zeigen, wie realistisch man Tennis nachahmen kann, eine tolle Ballphysik eingeschlossen. SEGA bringt sich aber mit vielen Fehlern im Detail und vor allem der lieblosen Figurenmodell wegen gerade selbst um den verdienten Lohn. Es wirkt fast ein wenig dekadent, wenn ein Kongolese wie ein Westeuropäer wirkt, den man mit der Spraydose dunkel gespritzt hat.