Der natürlichste Feind des Web 2.0 sind “WIR”!

Alexander Trust, den 14. Januar 2007
Stichworte
Stichworte, Bild: CC0

Das Time-Magazine wählte uns zum Jahreswechsel zur Person des Jahres, weil wir das Web 2.0 auf die Beine gestellt haben und alle daran teilhaben. Jeder Einzelne zu einem mehr oder weniger großen Teil. Für mich beginnt hier bereits die Krux, bei uns.

Robert Basic nennt es eine Innovationspause, Johnny Häusler argumentiert “es ist vorbei” und auch Don Alphonso schrieb vom Ende des Web 2.0, wie wir es kennen. Tom Alby, der ein Web 2.0 Buchveröffentlichte, gibt gar 10 Thesen an, warum es so ist oder kommt, wie alle denken. So ist es denn für alle ein wenig Abnutzung, ein wenig Reiz, der verloren geht und neue Innovationen, die sich an die Stelle der Blase 2.0 stellen werden.

Kontext wirkt auf uns

Man muss aber kein Prophet sein, um sich auszumalen, dass natürlich die Beteiligten am Web 2.0 einen großen Einfluss auf des Phänomen ausüben. Jahrtausende der Mediengeschichte haben die Menschheit sozialisiert. Sie haben uns darauf eingestimmt, dass wenige produzieren und die breite Masse konsumiert. Nicht nur nach Marshall McLuhan beeinflussen Medien unseren soziokulturellen Kontext. Dieser Kontext wiederum wirkt auf den gesellschaftlichen Rahmen in dem die Akteure sich bewegen und sozialisiert werden.

Wir sind darauf getrimmt, Nutznießer zu sein. Produzenten sind es gewohnt, für ihren Aufwand entschädigt zu werden. Die Akteure sind prinzipiell alles andere als sozial um den Begriff des Social Webwirklich auszufüllen. Die Idee hat sich meiner Meinung nach nicht überlebt, sie ist noch gar nicht richtig angekommen und angenommen worden von der großen Masse. Ein Teil von uns wollte einfach nur “dabei sein”, ein anderer hat erkannt, dass sich mit dem Phänomen das schnelle Geld machen lässt. Da allerdings die Räder des Fortschritts sich immer schneller drehen, werden sukzessive die Halbwertszeiten für mediale Erscheinungen kürzer. Dass Social Web, wie einige von uns es kennen gelernt haben, es hatte gar nicht die Zeit, die Gesellschaft wirklich zu durchdringen. Was wir derzeit erleben sind Oberflächenerscheinungen. Manch einer, der den Hang zur Selbstdarstellung liebt, wird einen eigenen Beweggrund gehabt haben, um sich eingehender auf das Web 2.0 einzulassen.

Alle anderen sind gar nicht so sehr von den Prinzipien der Partizipation überzeugt, sie verweilen gerne im Status (passiven) Konsums. Es lässt sich an allen Ecken und Ende dessen erkennen, was lediglich als für die Teilnehmer zuvor unbekannter Hype Abnutzungserscheinungen zeigt. Schauen wir uns ein paar Projekte des Web 2.0 etwas genauer an und erkennen, wie weit her es mit der Rolle des aktiven Konsumenten wirklich ist.

Nutznießer

PixelQuelle bietet eine eigene Statistikseite an, die stündlich aktualisiert wird. Für den Monat Dezember findet man, dass knapp 7500 neue Bilder hochgeladen wurden. Es wurden allerdings weniger als 7000 Kommentare in dem Monat abgegeben und noch geringer fällt die Anzahl der Bewertungen aus: Nicht ein Mal 4500 Bewertungen wurden abgegeben. Heruntergeladen wurden die Bilder aus dem Portfolio jedoch etwas über 230 000 Mal. Erstaunlich? Eine Ausnahme? Mitnichten. Denn die Gesamtwerte zeichnen ein ebenso düsteres Bild von der Partizipationsfähigkeit der Nutzer. Derzeit gibt es etwas über 100 000 Bilder bei PixelQuelle bei guten 110 000 registrierten Benutzern. Pi Mal Daumen müsste also nicht mal jeder Nutzer ein Bild eingestellt haben. Das reale Verhältnis stellt sich noch anders dar. Während manche Nutzer 40, 50 und mehr Bilder eingestellt haben und manche sogar über 100 Fotos veröffentlichten, müssen entsprechend viele andere Nutzer gar kein Bild hochgeladen haben. Bald 5 Millionen Mal sind die Bilder heruntergeladen worden. Kommentiert wurde dagegen bescheiden. Nicht mal 90 000 Kommentare finden sich bei PixelQuelle, noch dazu reduziert sich wahrscheinlich die Zahl der Personen hinter den Kommentaren drastisch. An die 130 000 Bewertungen wurden abgegeben. Das allerdings liegt nicht an PixelQuelle sondern an uns. Ja, denn wir sind es nicht gewohnt zu geben und stattdessen geübt im Nehmen.

Konsum ja, Partizipation eher nicht

Vielleicht habe ich aber das falsche Projekt in Augenschein genommen? — Kein Problem. Wechseln wir zu YouTube und machen dort eine etwas ausgiebigere Stichprobe. Die Probe auf’s Exempel ergibt kein anderes Bild von der Blase 2.0. Ein aktuelles Video, das heute auf der Startseite prangt, es wurde bald 50 000 Mal angesehen, allerdings hinterließen die Nutzer nur 219 Kommentare und bislang wurden keine 1000 Bewertungen abgegeben.

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Beim heute am häufigsten gesehenen Video, einer Satire auf Apples neues Iphone, zeigt der Zähler bald 350 000 Sichtungen an. Trotzdem wurden bloß 565 Kommentare abgegeben und lediglich etwas über 1800 Bewertungen vorgenommen. Wenn man in die Kategorie der am häufigsten bewerteten Videos von heute wechselt, ist das bereits erwähnte schon das Ende der Fahnenstange. Und auch YouTube bietet uns eine Möglichkeit die “alltime”-Favoriten anzusehen. Das Verhältnis zwischen reinen Konsumenten und Partizipanten verändert sich zwar ein wenig, doch gilt das lediglich für einen kleinen “Haufen” von Ikonen. Ein Video (siehe unten), das in einem Dreiviertel Jahr gute 38 Millionen Mal angesehen wurde, das mit die lustigsten 6 Minuten, die man je zu Gesicht kriegen wird, angekündigt wird, ist mit der Anzahl der Sichtungen Spitze. Es wurde etwa 15 000 kommentiert und über 66 000 Mal bewertet. Eine wahnsinnige Diskrepanz.

Wir sind Schmarotzer

Ich könnte viele weitere Web 2.0-Projekte unter die Lupe nehmen und würde dieselben Verhältnisse in Sachen aktiver Teilhabe und passivem Schmarotzerdasein feststellen. Bei äußerst “sozialen” Projekten wie der Wikipedia ist zwar quantitativ mehr Partizipation festzustellen, aber eben auch eine umso höhere passive Verwertung der Inhalte. Ich selbst habe wohl viel öfter zu Artikeln verlinkt, als selbst aktiv an ihnen mitgewirkt. Ich bin der Überzeugung: Das, was Social Web eigentlich bedeutet, ist noch gar nicht ins Bewusstsein der Leute gedrungen. Noch dazu, da das Phänomen nicht mal ein globales ist. Die Grenzen des Internet (Finanzierbarkeit, Know-How, Sprachbarrieren, Zensurmaßnahmen, u.a.m.) verhindern außerdem ein wirkliches Ausbreiten auf dem ganzen Globus. Ob es jemals dazu kommen wird, kann man bezweifeln, aber ich möchte lieber darauf hoffen, dass in der Nachfolge noch mehr Anwendungen erzeugt werden, die das soziale Prinzip befördern und Zeiträume schaffen, in denen es den Akteuren möglich gemacht werden wird, sich an ihre neue Rolle zu gewöhnen.


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