Nähkästchen #17: Die Sache mit den Reviews
Alexander Trust, den 2. November 2015Wie ich bei den bisherigen Nähkästchen anfangs mal angekündigt hab, muss ich eine Menge Artikel überarbeiten. Reviews sind dabei diejenigen, für die ich am meisten Zeit verwende. Die Erfahrungen, die ich im folgenden schildere, sind nicht ausschließlich auf Macnotes bezogen, sondern rühren in der Tat von meiner Arbeit im Internet generell her.
Stein des Anstoßes war aber ein Review auf Macnotes aus dem November 2007. „So weit“ bin ich beim Überarbeiten der Artikel schon gekommen. Zu Erinnerung, ich habe „hinten“ angefangen und gehe chronologisch vor. Bald kann ich also hinter die Jahre 2006 und 2007 einen Haken machen. Das Review hatte 5 von 5 Macs, es hat heute 4 von 10 Punkten in unserem URS (Unified Rating System) – dazu später mehr.
Es tut, was es soll
Häufig habe ich in Positionen gearbeitet, in denen ich andere Leute anleiten durfte und Beiträge korrigieren. Bei Macnotes war dies nicht anders. „Hier“ und als Betreiber anderer Webseiten, hatte ich insgesamt wohl mit fast 100 Personen zu tun, die allesamt mit der Zeit Testberichte anfertigten. Manche machten es gut, über andere habe ich viel Haupthaar verloren.
Das erste Problem, das ich mit Reviews habe, ist eine Aussage wie „Es tut, was es soll“. Wenn man dies als Gradmesser annimmt, dann sind wohl ziemlich viele Produkte, egal ob phsyikalisch greifbar oder digital nur begreifbar und benutzbar, gut. Schon als ich bei Macnotes noch nicht „das Sagen“ hatte, hab ich damals im Gruppenchat auf Skype kritisiert, wenn aus einem „es tut was es soll“ eine Traumwertung abgeleitet wurde. Denn wir haben damals immer mal wieder unsere Testberichte mit der Redaktion besprochen, um bei Unklarheiten vielleicht die Meinung anderer mit einfließen zu lassen.
Man kann davon ausgehen, dass alle Autos, die man am Markt kauft, mich in die Lage versetzen, von A nach B zu kommen. Ein „es tut, was es soll“ kann also gar kein Kriterium für Qualität sein, bzw. ist absolut nicht zur Unterscheidung oder Bewertung geeignet.
Selbst durchlesen und Liste anfertigen
Doch abgesehen von diesem augenfälligen Kritikpunkt gibt es Etwas, das ich Redakteuren, die ich neu angelernt habe, und mit denen ich ihre eigenen Texte durchgesprochen habe, und besonders schweren Fällen an die Hand gebe: Lest euch euer Review durch und führt eine Liste. Denn ich habe mir in den vielen Jahren schon hunderte Testberichte, wenn nicht sogar tausende durchlesen müssen, wo ich am Ende gedacht habe, da passt eins nicht zum andern, und zwar die Wertung nicht zum Text.
Wenn jemand ewig lang etwas in einem Review kritisiert, dann scheint es ihn gestört zu haben. Wenn nicht, dann hätte er oder sie vielleicht dem Leser gegenüber erläutern müssen, dass es andere Gründe hat, warum die Kritik so ausführlich ausfällt. Wenn jemand ausschließlich lobt und keine oder kaum Kritik äußert und am Ende aber eine schlechte Wertung steht, muss man genauso am Urteilsvermögen zweifeln dürfen.
Wenn man sich Tests von oben nach unten durchliest, kann man Lob und Tadel voneinander unterscheiden. Wenn man das nicht kann, hat derjenige, der den Text angefertigt hat, etwas verkehrt gemacht. Und also kann man eine Liste führen, in der Lob und Tadel gegeneinander aufgewogen werden. Wenn man mehr als eine Handvoll Punkte kritisiert und aber trotzdem eine Top-Wertung vergibt, dann ist für mich etwas faul im Staate Dänemark.
Indem man sich allerdings auf diese Weise mit seinen eigenen Texten auseinandersetzt, kann man einerseits eine Wertung optimieren und andererseits sich selbst schulen, sogar in zweifacher Weise. Einerseits kann man lernen, zu analysieren und Pro und Contra rauszufiltern, andererseits kann man lernen, sich selbst zu mehr Ausgewogenheit zu zwingen. Denn wenn ein Testbericht (wie damals bei Macnotes 5 von 5 Macs) die Top-Wertung erhält, aber wenig Gutes und eben viel Schlechtes berichtet wurde, gibt es gar keine Grundlage für so eine positive Bewertung. Also muss man lernen, selbst zu argumentieren und am Ende die korrekten Schlüsse daraus zu ziehen.
URS
Da ich unter anderem Sprachwissenschaften und Medientheorien studiert habe, lag es für mich gedanklich sehr nahe, mich auf eine intensivere Art und Weise mit dem Thema Reviews auseinanderzusetzen. Also steckten vor ein paar Jahren der Kollege Keller und ich die Köpfe zusammen und heraus kam URS, das Unified Rating System. Wir haben es zunächst auf eigenen Webseiten eingesetzt, später auf Macnotes importiert.
URS hilft einem Tester dabei, ausgewogen zu urteilen. Denn er „muss“ Pro- und Contra-Punkte finden und auflisten. Also hilft ihm das Wertungssystem, seine Kritik zu reflektieren.
Darüber hinaus geht URS einen anderen Weg. Wir haben zwar eine Skala von 0 bis 10 Punkten, doch 5 ist quasi der Ausgangspunkt für jeden neuen Testbericht, wenn ein Produkt 5 von 10 Punkten bekommt, kann man sich sicher sein, dass es seine Pflicht erfüllt. Natürlich wird nicht 1:1 jeweils Pro und Contra drauf- und runter gerechnet, aber es funktioniert ungefähr auf diese Weise.
Dazu kommt eine Dimension namens Kontext. Am besten lässt sich dass vor allem an Produkten beschreiben, von denen es mehrere Teile gibt, bspw. Filme oder Videospiele. Wenn ein Uncharted oder Rocky veröffentlicht wird, ist es etwas Besonderes. Wenn nun Uncharted 2 veröffentlicht wird, muss es sich sehr anstrengen, um in URS überhaupt besser sein zu können als der erste Teil. Denn dieses „Besondere“ hatte vor allem der erste Teil. Wenn also ein Nachfolger schlechter bewertet wird, dann geschieht das mit vollster Absicht – es sei denn, er kann etwas bieten, was Teil 1 nicht hatte.
Wir haben URS auch deshalb aus der Taufe gehoben, weil wir der Meinung sind, dass es die volle Punktzahl nicht geben kann. Denn es gibt immer Dinge zu kritisieren oder zu verbessern und wenn man vom heutigen Standpunkt noch nicht so urteilen kann, weil man es nicht besser weiß, dann womöglich in der Zukunft. Wenn ich also dort draußen ein Review lese, bei dem ein Tester die volle Punktzahl vergeben hat, kann ich die Meinung der Person nicht ernst nehmen.